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Die verschlungenen Pfade der Sprache

Die Weisheit eines Volkes ist eingraviert in seine Sprache – ich weiß: eine steile These, an der man nach nur wenigen Minuten 9live-gucken so seine Zweifel bekommen kann. Aber es gibt auch starke Belege dafür: im Französischen z.b. heißt der Ausdruck für Tiefdruckgebiet … Depression – und genau die bekommt man, wenn man eigens auf der Flucht vor heimischem Schmuddelwetter 1.500 km in den Süden Frankreichs fährt, nur um dann in 14 Urlaubstagen gerade mal einen durchgehenden Sonnentag bei fast schon kiribatischen 23° zu erleben. Weitere Belege für die Weisheit des Französischen kann ich leider nicht beibringen, was aber an meiner eigenen fremdsprachlichen Inkompetenz liegt, hatte ich doch insbesondere im Französischunterricht eine schwere Jugend.

Tatsächlich habe ich meine wenigen Französischkentnisse erst später aufgrund meiner Begeisterung für die Chansons von Jacques Brel erworben, was meinen ohnehin bescheidenen Wortschatz nochmals einschränkte auf die Themen: Frauen, Tod und Trunkenheit. Man mag nun einwenden, die wesentlichen Basics der zumindest männlichen Existenz seien damit doch abgedeckt – aber versuchen Sie mal in einem Restaurant mit Brel-Französisch ein anständiges Steak zu bestellen, ohne dass die Bedienung Ihnen eine schallert!

Im Großen und Ganzen komme ich ja auch überall auf der Welt mit Gesten, einigen Grunzlauten und Englisch bestens durch. Selbst nach dem Weg brauchte ich in diesem Urlaub nicht zu fragen, war mir doch mein Navi ein verlässlicher Ratgeber, der mich auf durchweichten Agrarwegen aus Brügge ebenso sicher hinaus- wie über arabeskenhaft verschlungene Autobahnkreuze nach Paris hineinführte.

Nur ein einziges Mal verlor das Gerät Orientierung und Contenance, nämlich als wir unseren Campingplatz an der berühmten Dune de Pylat ansteuerten. Bis auf die Küstenstrasse entlang der Düne hatte es mich kompetent geführt, dann wollte es aber mich statt nach rechts, Richtung Düne und Meer, nach links, Richtung Düne und Verderben, führen – auf Pfaden, denen man schon von weitem ihre treibsandige Bodenlosigkeit ansehen konnte.

Nee, das ist nicht Rommels Geländewagen und auch gar nicht in der Nähe der Pylat-Düne. Wenn Sie wissen, um was es sich hier handelt, schreiben Sie uns doch. Wir verlosen unter den richtigen Einsendungen 3x den Geek-Atlas. (Foto: (c) Richie Diesterheft)

Und überhaupt bewegten wir uns nach der Entfernungsangabe im Navi immer mehr vom Campingplatz „Petite Nice“ (übersetzt also „kleine Schönheit“) fort. Deshalb hielt ich, um nach dem Weg zu fragen, dann doch lieber an einem „poste de secours“ an, was in meiner lingual beschränkten Welt entweder eine Rettungsstation oder ein Behelfspostamt hätte sein können.

Dass Letzteres auszuschließen war, wurde mir spätestens beim Anblick des davor herumlümmelnden Personals klar: ein durchtrainierter Hüne saß breitbeinig auf einem unter seinem Gewicht bis zum Dammriss verbogenen Plastikstühlchen, braungegerbt und in Badebekleidung: So lax konnten auch im französischen Postwesen die Bekleidungsvorschriften nicht sein. Klar, das war ein Rettungsschwimmer, die in Frankreich verwirrenderweise „Meister der Nager“ genannt werden … naja, das mit der Weisheit der Sprache erschließt sich auch nicht in jedem Fall sofort.

Angesichts des schlechten Wetters schaute er ebenso missmutig drein wie angestrengt an sich herunter, um vor Langeweile seine Tattoos zu zählen. Bevor er ein weiteres Mal damit anfangen konnte, sprach ich den Franzosen-Hasselhoff, über dessen linken Brustwarze „Danielle“ in kalligrafischen Schwüngen tätowiert war, an und fragte artig auf Englisch nach dem Weg zum Campingplatz.

„Ratataplüwerondonksürladüün“, anwortete der Nager-Meister – hmm, nun ja … eine Antwort, die ebensowenig hilfreich wie dazu angetan war, meine Skepsis gegenüber Männern zu mildern, die ihre Brustwarzen taggen. Aber vielleicht hatte er auch nur meine englisch formulierte Frage falsch verstanden?

Also suchte ich mein bestes Französisch zusammen, stieß dabei auf eine längst vergessen geglaubte Fernsehsendung meiner Kindertage, und fragte: „Monsieur, la petite nice … turnikuti“ – ich wies mit dem Arm die Küstenstrasse hinunter – „ou turnikuta“ – ich zeigte in die Gegenrichtung. Aus der nun auf mich herunterrasselnden Phonemkette wurde ich auch nicht schlauer als bei der ersten Antwort, meinte aber darin Teile des Titels von Roland Topors Autobiografie ausmachen zu können. Da verabschiedete ich mich lieber schnell und suchte weiter auf eigene Faust nach der „petite nice“, die ich dann schließlich auch fand – nur eine halbe Ewigkeit später, in der mich mein Navi immer wieder eindringlich zu übereden versuchte, im Llano Estacado der Biskaya den Rommel zu machen.

Gefunden: Unsere Sommerferiendüne

Inzwischen bin ich wieder zuhause und befahre als O’Reilly-Außendienstler statt  französische Dünenwege die  Autobahnen der norddeutschen Tiefebene – und da haben Sie den nächsten  Beleg für die zumindest meteorologische Weisheit der Sprache.

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