Nach dem Ausflug in die trashigen Mainstreamgefilde der bunten 60s wenden wir uns im dritten Teil der Reihe einem eher düsteren, ernsthaften Film zu. Er beruht auf wahren Begebenheiten und nimmt einen zu trauriger Berühmtheit gelangten Hacker-Pionier aus Hannover sowie das politische Klima der Bundesrepublik der fortgeschrittenen 80er Jahre unter die Lupe. Die Rede ist natülich von 23 – Nichts ist so wie es scheint von Hans-Christian-Schmid, der vor gut 13 Jahren auf dem Chaos Communication Congress gezeigt wurde, bevor er im Januar 1999 in die deutschen Kinos kam.
Im Mittelpunkt des Films steht der von Elternhaus und Establishment enttäuschte und durch die Brokdorf-Proteste politisierte Jungaktivist Karl Koch (August Diehl in seinem Kinodebut), der – unter Berufung auf eine Romanfigur von Robert Anton Wilson – am liebsten unter dem Pseudonym Hagbard Celine agiert. Karl interessiert sich neben Verschwörungstheorien rund um die geheimnisvolle Zahl 23 v.a. für internationale Datennetze und Hacking.
Durch den frühen Tod seines Vaters und eine damit verbundene Erbschaft ist er in der Lage, einen persönlichen Traum zu verwirklichen: Er mietet eine geräumige Wohnung an, erklärt sie zum Versuchsraum für freies Leben – und hat fast rund um die Uhr Partyvolk, Lebenskünstler und Computerfreaks zu Gast.
Nachdem Karl und sein (technisch deutlich begabterer) Freund David mittels Commodore-PC und Akustikkoppler ein bisschen Chaos im Datex-P-Netz gestiftet haben (sie probieren eine Menge Passwörter aus), werden der von der Bundeswehr desertierte Informartiker Lupo und der umtriebige Dealer Pepe auf die beiden Jungs aufmerksam. Unter der Prämisse, durch zukünftige Aktionen dem bösen, imperialistischen Westen schaden und dem unterprivilegierten Teil der Welt – vertreten durch die Sowjetunion – in Sachen Informations- und Technikdefizit helfen zu können, gelingt es ihnen, Karl und David für “ihre Sache” zu gewinnen, d.h.: eine lukrative Kooperation mit dem KGB. Vor allem Pepe scheint es hier mehr um harte Devisen als ein Gleichgewicht der Mächte oder den Weltfrieden zu gehen.
Dieses “Projekt”, das unter der Bezeichnung KGB-Hack in die Geschichtsbücher eingegangen ist, entpuppt sich in mehrfacher Hinsicht als gefährlich. Zum einen sind die selbsternannten Revoluzzer dazu gezwungen, die Nächte durchzumachen, um die günstigen Telefontarife ausnutzen zu können, was Karl in schwere Abhängigkeit von Aufputschdrogen und im Zusammenhang damit in weitere wahnwitzige Weltverschwörungsgedanken treibt. Zum anderen gibt es schon bald Anzeichen dafür, dass sich BKA, BND und Verfassungsschutz für die nun nicht mehr so harmlosen Jungs interessieren – was Hagbards Paranoia auch nicht gerade dienlich ist. Ein böses Ende ist quasi vorprogammiert.
Bemerkenswert an Schmids Film ist neben der guten Darstellerriege v.a. die Art und Weise, in der die politische und kulturelle Atmosphäe der 80er stilecht heraufbeschworen und z.T. sehr geschickt in die Handlung einbettet wird. Im Fernsehen (und in Karls Kopf) läuft der Staatsbesuch von Ronald Reagan, der Mord an Olof Palme, der Anschlag auf die Diskothek La Belle, die Katastrophe in Tschernobyl – und Glücksrad.
Was die Darstellung technischer Standards und Entwicklungen der Ära betrifft, ist 23 nahezu detailverliebt. So sehen wir einen Trailer der (ersten?) CeBIT und Hagbard ebendort hinter seinem Rechner am Stand des 64er-Magazins. Er ist ganz und gar unzufrieden mit dem BTX-System der Bundespost a.k.a. “Der Gilb”. Auch auf die Grundlagen der Hackerethik wird eingegangen. Offene Netze, freie Informationen! – so lautet der Kampfruf der „Phreaks“. Als David und Karl mit dem Durchrattern von Passwörtern nicht mehr weiterkommen, schreiben sie ein Programm, das eben jene von autorisierten Nutzern heimlich abgreift und für die Hacker nutzbar macht. Karl tauft das Phishing-Werkzeug Trojanisches Pferd.
Trotz grundsolider Recherche im Hackerumfeld und überwiegend realitischer Darstellung tatsächlicher Ereignisse sollte man 23 jedoch nicht allzu ernst nehmen. Schmid und Co-Autor Michael Gutmann haben einen Spielfilm gemacht, keine Doku. Schon aus dramaturgischen Gründen wurden deshalb viele Details geändert. Häufig stehen Karls psychische Probleme und die angeschlagene Beziehung zu seinem Freund David im Mittelpunkt – nicht technische Spezifikationen von 8-Bit-Rechnern oder Datenleitungen. Das ist allerdings auch gut so. Die ausgewogene Mischung garantiert, dass 23 nicht nur ein prima Hackerstreifen ist, sondern auch – ganz genreunabhängig – einen festen Platz im deutschprachigen Kino-Kanon des späten 20. Jahrhunderts hat.