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WEAR IT Festival: Demokratisierung der Technologie

Am Wochenende findet in Berlin das WEAR IT-Festival statt: Workshops, Ausstellung und Vorträge rund um Elektronikmodule in und an Kleidung. Und mehr – was genau, habe ich Initiator Thomas Gnahm gefragt.

Thomas, vor ein paar Wochen kam unser Lektor Volker zu mir und sagte: „Da ist ein Festival in Berlin, das bringt alles zusammen: Elektronik, Löten, Nähen, LEDs, Mode, Kunst … das musst Du Dir anschauen!“ – Was verbirgt sich denn genau hinter dem Wear-It-Festival?

WEAR IT-Initiator Thomas Gnahm

WEAR IT-Initiator Thomas Gnahm

Ganz konkret: Es geht um anziehbare Elektronik, also Wearables. Als Trafo Pop haben wir selbst schon einige Projekte in diesem Bereich gemacht, zum Beispiel haben wir uns LED-Jacken gebaut und sind damit nachts mit unseren Rädern durch die Stadt gefahren.

Dabei haben wir gemerkt, dass es im Bereich tragbare Elektronik viele tolle Maker gibt – und zwar auf der ganzen Welt. Unsere Motivation, das Festival auf die Beine zu stellen, war dann: genau diese Leute zusammen zu führen. Die ganze Szene an einen Ort zu bringen, so dass wir uns kennen lernen und austauschen können.

Außerdem wollen wir die Entwicklung in diesem Bereich vorantreiben. Uns geht es da weniger um tragbare Elektronik im Sinne der Apple Watch, sondern um Ideen und Konzepte, wie man Elektronik sinnvoll am Körper einsetzen kann. Die Apple Watch hat ja zum Beispiel viele Funktionen – und als User schaut man dann, was man damit machen kann. Bei uns ist es aber so: Wir suchen nach Konzepten, wie die Technologie allein uns bereichern kann. Und diese schließen wir eben nicht in irgendein Gehäuse ein, eine schwarze Box, in der dann Magie passiert. Stattdessen wollen wir zeigen, wie man diese Technologien auch selbst benutzen kann. Selbst etwas macht, selbst etwas baut.

Die Fahrradgang von Trafopop  Bild: (c) Trafopop

Die Fahrradgang von Trafo Pop
Bild: (c) Trafo Pop

Im Vordergrund steht also die Community, und gleich danach geht es uns um Demokratisierung der Technologie, d.h. dass man das Wissen auch gleich weitergibt und teilt.

Und dazu habt Ihr Workshops vorbereitet …

Genau, wir bieten drei Workshops, nämlich:

  • „Solo Disco Scarf“ mit Becky Stewart, einer Künstlerin aus London. Im Workshop baut man einen Schal, der per Anschluss an Telefon und Kopfhörer als Synthesizer benutzt wird. Man trägt den Schal also um den Hals und durch Verknittern, Anfassen etc. entstehen neue Sounds. Ein Gegenstand, von dem man gar nicht gedacht hätte, dass er ein Interface sein kann, wird auf eine ganz neue Art und Weise benutzt.
    Klangteppich, anders. Foto: (c) Becky Stewart
    Klangteppich, anders.
    Foto: (c) Becky Stewart
  • „All your segments are belong to me“ mit Hannah Perner-Wilson. Darin geht es um segmentierte Displays, die man von alten Radioweckern kennt. Mit deren sieben bzw. sechzehn Segmenten kann man ja im Prinzip alle Zahlen und Buchstaben darstellen. Ausgehend von diesem modularen System individualisieren die Teilnehmer Kleidung mit LEDs. Hannah ist ziemlich bekannt in der Wearable-Szene, sie hat am M.I.T. studiert, ist ständig in der ganzen Welt unterwegs und macht wirklich supertolle Projekte.
  • „Sound Reactive LED Bracelet Workshop“ mit Morris, Brahm und Hugo vom Laydrop Berlin kombiniert Schmuck mit Fertigungstechnik: Dort wird per 3D-Druck ein Armreif hergestellt, in den schließlich auch Elektronik eingebracht wird. Wenn man den Arm bewegt, können sich beispielsweise die Farben ändern. Hier geht es sicherlich ein wenig technischer zu, aber man bekommt so auch alle Grundlagen zum 3D-Druck.

Was ich außerdem im kulturellen Sinne spannend finde: Obwohl Technik ja häufig als „was für Männer“ behandelt wird, spricht das Thema Wearables ganz viele Frauen an. Letztlich unterscheidet sich ein 3D-Drucker ja nicht so sehr von einer Nähmaschine, an der viele Frauen ja ganz selbstverständlich sitzen – während Männer sie nicht so viel benutzen. Gerade bei Wearables wird diese ganze Mann-Frau-Stereotypie aber kräftig durcheinander gewirbelt. Wir haben so viele Sprecherinnen und auch Frauen im Orgateam. Und ich versuche jetzt, die Nähmaschine zu bedienen.

Die Workshops laufen am Samstag, inklusive Präsentation der Ergebnisse. Und was man gebaut hat, kann man gleich Samstagabend in der Platoon Kunsthalle tragen …

Genau, da gibt es dann für alle Konferenzteilnehmer ab 20.30 Uhr schon einmal eine Mini-Konferenz, bei der die dort ausstellenden Künstler etwas zu ihren Arbeiten sagen. Danach steigt die Party, zu der auch Performances verschiedener Wearables-Künstler laufen. Wir erwarten zum Beispiel einen DJ mit dem meiner Meinung nach besten Datenhandschuh der Welt, den übrigens Hannah über ein Kickstarter-Projekt gebaut hat und der von der Sängerin Imogen Heap eingesetzt wird. Außerdem kommen: eine Band mit interaktiven LED-Kleidern, eine Drummerin, die per Pads auf ihrem Körper trommelt, eine Laser-Hula-Hoop-Show, den mit Fiber-Optics innen leuchtende Kapuzenpulli eines DJs… und und und …

Da gibt’s also richtig was für Auge und Ohren …

Allerdings – unser Ziel ist ja, die Technologie zugänglich zu machen. Ich war zum Beispiel selbst dabei, als dieser Hoodie gebaut wurde: Das ging in ein paar Tagen, und genau das ist zugängliche Technologie. Man sieht den Fortschritt der einzelnen Projekte. Das unterscheidet sie von Apple- oder Samsung-Devices, die ja fertig sind.

Dazu passt ja auch Euer Motto: Make your dress code. Selbst Hand anlegen, statt das fertige Produkt zu kaufen und dann nur noch um den Arm zu binden.

Exakt. Das Motto ist mit den Begriffen Make-Dress-Code in diesem Jahr das Startsignal, die Community zusammenzubringen. Es gibt uns aber auch die Freiheit, dass wir uns eventuell nächstes Jahr auf etwas fokussieren – oder auch noch weiter öffnen.

Die unterschiedlichen Richtungen, aus denen Ihr kommt, sieht man auch in der Ausstellung …

Ja, zum Beispiel haben wir Maartje Dijkstra aus Rotterdam, die Fashion Tech – richtige Laufstegmode – ausstellt, die sie auch schon hier in Berlin auf der Alternativen Fashionweek gezeigt hat. Oder das Fraunhofer Institut, das eine Wandteppich-Steuerung per App vorstellt. Oder ein Startup, das ein Armband ausstellt, das Musikern den Takt vorgibt.

Das war jetzt alles noch im Platoon, wie geht es denn Sonntag weiter?

Sonntag geht’s dann wieder ins Betahaus. Für die Vorträge haben wir wirklich tolle, internationale Speaker gewinnen können – aus Australien, Rotterdam, Toronto, Philadelphia …

Die Keynote kommt von Kate Hartman, die nicht nur schon einen TED-Talk gehalten hat, sondern deren Arbeiten auch zur ständigen Ausstellung des MOMA New York gehören. Kate hat diese Fragen, die wir am Wochenende behandeln wollen, mit ihrer konzeptionellen Herangehensweise überhaupt erst aufgebracht: Wie kann man Technologie sinnvoll nutzen – und nicht nur, weil’s halt geht?

Sie hat zum Beispiel miteinander kommunizierende Kleidungsstücke entworfen. Dann könnte ich mit meiner Gürtelschnalle die Gürtelschnalle einer anderen Person steuern. Genau das macht Wearables für mich aus: Im Vergleich zu Computer und Telefon ist das etwas, was zu meinem Körper dazu gehört. Zumindest in der Zeit, in der ich etwas trage, wie zum Beispiel meine Hose. Wie können wir das nun nutzen, dass es uns hilft?

Dann haben wir noch Alex von Chicks on Speed, Katharina Bredies von der Universität der Künste in Berlin oder Leslie Birch von Adafruit an Bord. Und andere…

Eure Speakerliste ist wirklich super international, wie ist es bei Eurem Orgateam? Wie viele Leute stemmen das Festival?

Im Kern besteht unser Orgateam aus fünf Leuten, dazu gibt es nochmal fünf Volunteers – und ja, auch wir sind aus einigen Ländern zusammengewürfelt. Angefangen hab ich alleine, aber mit der Zeit kamen immer mehr Leute hinzu. Geht auch gar nicht anders, alleine kann man das gar nicht schaffen – selbst wenn man ein paar Nächte durcharbeitet ;-)

Ist das Wear It-Festival in dieser Form international einmalig?

Meines Wissens nach gibt es bisher kein vergleichbares Event, zumindest nicht in Europa. Bei der Wearable Tech Expo präsentieren ja vorrangig Firmen ihre Produkte. Ich merke auch an der Reaktion der eingeladenen Speaker, dass es ein Event in diesem öffentlichen Rahmen bisher nicht gab. Es freuen sich alle so sehr, einander mal persönlich kennenzulernen. Zwar treffen sich immer wieder mal 20 bis 30 Leute, um in kleineren Projekten gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Aber wir wollen ja noch mehr nach außen und die Entwicklung vorantreiben.

A propos: gibt’s noch Tickets?

Ja, die gibt es – die Workshops sind ausverkauft, für die Konferenz am Sonntag bekommt man aber noch Tickets.

Wie finanziert Ihr Euch, über die Tickets hinaus?

Tatsächlich ist es noch nicht komplett finanziert – wenn ein Minus bleibt, tragen wir das selbst. Ich rechne mit einem Nullsummengeschäft, aber was uns wichtig ist: Jeder Speaker bekommt immerhin symbolisch 100 Euro, außerdem lassen wir die internationalen Speaker natürlich auf unsere Kosten einfliegen. Und ich würde eigentlich auch gerne allen HelferInnen etwas geben.

Sucht Ihr denn Sponsoren – auch für nächstes Jahr?

Ja, auf jeden Fall! Wir bleiben ja auch am Thema dran, das können wir heute ruhig schon sagen: Über die jährlich stattfindende Veranstaltung hinaus wollen wir Wear It als permanente Plattform für Künstler, Ingenieure und Techniker des Wearables-Bereichs etablieren.

Dazu brauchen wir Partner aus Industrie und Institutionen. Bisher sind zum Beispiel das Fraunhofer Institut, das Fablab Berlin und der Verband deutscher Ingenieure (VDI) dabei – weitere langfristige Partner sind auf jeden Fall willkommen.

WEAR IT Berlin, 11.-12. Oktober, Betahaus. Mehr Infos & Tickets unter wearit-berlin.com.

WEAR IT Berlin, 11.-12. Oktober, Betahaus. Mehr Infos & Tickets unter wearit-berlin.com.

Und damit gibt es also auch gleich einen Projektlaunch am Wochende. Welche konkreten Ideen habt Ihr für Wear It?

Wear It soll Beschleuniger, Ideengeber und Initiator sein. Wir wollen selbst Projekte kuratieren und Künstler ansprechen – gerade auch die nerdigen, die ihre coolen Projekte sonst nicht aus der Schublade holen. Das Festival ist Startschuss und danach jährliches Treffen.

Thomas, Ich drücke Euch sehr die Daumen, fürs kommende Wochenende und das ganze Projekt.

Danke! Wir merken auch, dass seit IFA und Veröffentlichung der Apple Watch die Aufmerksamkeit für Wearables noch einmal höher ist. Also der perfekte Moment für uns!

Wer  an dieser Stelle einsteigen will, kann zum Beispiel „Making Things Wearable“ von René Bohne lesen. Der Gründer & Leiter des ersten deutschen Fablabs – an der RWTH Aachen – wird zudem als Aussteller beim WEAR IT Festival sein. Ganz frisch erschienen ist außerdem „Make: Wearable Electronics“ von Kate Hartman (siehe oben – schaut Euch ihren TED-Talk an, wirklich sehr, sehr witzig).

Kate Hartman veröffentlichte soeben auch ein Buch bei Maker Media, Inc.makingthingswearableger.s

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