Häufig wird in den Feuilletons großer deutscher Zeitungen über neuerscheinende literarische Übersetzungen berichtet. Manches Mal wird auch die Übersetzerleistung gewürdigt, wenn sie besonders augenfällig war. Vielen ist vielleicht noch die groß angelegte Berichterstattung über Ulrich Blumenbach in Erinnerung, er hatte sechs Jahre lang „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace übersetzt. Auf die Frage, warum die Übersetzung so schwierig gewesen sei, antwortete er, dass Wallace sehr viele Fachworte aus insgesamt 28 Fachsprachen (Mathematik, Pharmakologie, Tennis, Sportkommentatorenjargon, Botanik, Architektur) und viele eigene Wortkreationen verwendet habe.
Blumenbach hat für seine Übersetzungsleistung den Leipziger Buchpreis für Übersetzung erhalten. Technische Übersetzer haben es meist schwerer, Anerkennung für ihre Leistung zu erhalten. Aus diesem Grund möchten wir heute einmal einen unserer Übersetzer würdigen, dessen Übersetzungsleistung uns tief beeindruckt hat.
Jörg Beyer hat unglaublich viel Aufwand betrieben, um Joseph Adlers „ R in a Nutshell“ nicht nur absolut akkurat ins Deutsche zu übertragen, sondern auch sehr sachkundig und mit scharfem Blick fürs Detail zu optimieren. Herausgekommen ist ein deutsches Buch, was aus unserer Sicht das Zeug hat, das Standardwerk für R zu werden. Wir freuen uns über dieses Buch und darüber, solch einen Übersetzer zu haben und gratulieren Jörg Beyer zu dieser Leistung!
Damit Sie sich ein genaueres Bild davon machen können, was alles bei der Übersetzung von R in a Nutshell zu tun und zu berücksichtigen war, hier eine Schilderung von Jörg Beyer selbst:
Spontan und ohne lange nachzudenken könnte man sich die Arbeit an einer technischen Übersetzung linear vorstellen – getreu der Grundannahme, dass der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten die Gerade ist. Der Übersetzer nimmt sich einen (englischen) Satz nach dem anderen vor und macht einen deutschen Satz daraus, solange bis keine Sätze mehr übrig sind. Dann ist er fertig.
Aber wie so oft ist die Realität reizvoller. Zu den Besonderheiten der Arbeit an der deutschen Ausgabe von R in a Nutshell gehörten die immense Themenvielfalt und die hohe Informationsdichte. Zunächst waren da natürlich die Informatik-Inhalte, dazu die diversen Anwendungs-felder aus der Statistik und als drittes die Beispieldaten (und unser nutshellDE-Paket). Last, not least gab es in allen Bereichen Spielraum für Optimierungen. Wenn eine Übersetzung so vielschichtig ist, bekommt der Übersetzungsprozess schnell Ähnlichkeit mit einer Jonglage.
Dem Projekt sind eine Reihe Faktoren zugute gekommen, die zunächst gar nichts mit meiner Übersetzertätigkeit zu tun haben. Statistik und der Umgang mit Daten hatten in meinem Psychologiestudium einen hohen Stellenwert. Dazu kommt, dass ich ein sehr handwerklich orientierter Mensch bin und mich leicht für nützliche Werkzeuge und Arbeitstechniken begeistern kann. Relationale Datenbanken, SQL und Perl sind beispielsweise seit langem fester Bestandteil meines Arbeitsalltags – das hat sich sukzessive so entwickelt -, R nutze ich mittlerweile seit fast sechs Jahren.
Selbstverständlich profitiert die Übersetzung eines Software-Themas davon, wenn man neben theoretischer Sachkenntnis Anwendungswissen einbringen kann. Man erfasst komplexe Zusammenhänge schneller und genauer, außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit, fachliche oder didaktische Probleme (im Text oder im Code) zu erkennen und bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen zu können. Und was die Statistik betrifft, viele ihrer Grundkonzepte sind naturgemäß sehr abstrakt, dazu kommen subtile, aber verbindliche Sprachregelungen. Ohne Kenntnis zumindest der wichtigsten Grundlagen, nur mit im Schnellverfahren angeeignetem Wissen, ließe sich ein Buch wie die R-Nutshell kaum übersetzen. Oft genug verschlingt ja allein die Suche nach geeigneten Informationsquellen schon empfindlich viel Zeit, bevor man sich als Übersetzer überhaupt den Inhalten zuwenden kann.
Genau das machte sich bei den Beispieldaten bemerkbar. Ein üppiger Strauß aus Fachgebieten und Themen… In manchen Fällen hat die Recherche von Kontext und Terminologie um ein Vielfaches länger gedauert als die eigentliche Übersetzung. Bei abstractmäßig komprimierten Beschreibungen von Datensätzen oder bei ultrakompakten Spaltennamen wird die Informationsdichte im Vergleich zur Textmenge maximal – plötzlich bekommt jedes Wort ein spezielles Gewicht.
Alles in allem ist das aber Business as usual. Die eigentliche Herausforderung kam aus einer anderen Richtung: Es mussten allerhand fachliche Probleme im Original behoben werden, in den Beispieldaten, im Code, in der Darstellung statistischer Verfahren, in der Funktionsreferenz. Es war eine sehr arbeitsintensive Angelegenheit, Lösungen auszuarbeiten und mit dem Verlag zu besprechen. Manchmal hätte ich ganz gut einen dritten Arm, einen zweiten Kopf und einen 48-Stunden-Tag brauchen können. Ich bin meiner Lektorin unglaublich dankbar, dass sie mir trotz der drängenden Zeit bis zum Schluss den Rücken frei gehalten hat und immer offen für lösungsorientierte Diskussionen war. Ohne die Unterstützung durch den Verlag hätte die Übersetzung nicht so gut gelingen können, wie sie jetzt vorliegt.Und damit wären jetzt Sie, die Leser und Anwender, an der Reihe: Ich hoffe, dass die deutsche R-Nutshell Sie für lange Zeit bei Ihrer Arbeit begleiten und unterstützen wird. R lohnt sich.
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