Wer suchet, der findet, heißt es. Das mag ja sein, aber wie lange muss man suchen, bis man das findet, was man gesucht hat? Besonders im Internet, das ja eigentlich eine schnelle Lösungsfindung verspricht, kann sich der Vorteil der Vielfalt als Labyrinth erweisen, und der Suchende gibt schon mal entnervt auf.
Vor einiger Zeit habe ich mich mit dem Informationsarchitekten und O’Reilly-Autoren James Kalbach über gute Webnavigation unterhalten – und dabei erfahren, wie Nutzer nicht nur finden, was sie suchen, sondern auch Dinge entdecken, von denen sie noch gar nicht wussten, dass sie sie gesucht hatten. Lesen Sie hier das Interview:
James, immer häufiger liest man über Informationsarchitektur bei Webprojekten. Was versteht man eigentlich darunter?
Bei der Informationsarchitektur geht es um die Konzeption und Erstellung von Webseiten in der Weise, dass Besucher schnellstmöglich und leicht die Informationen finden können, die sie brauchen. Es gibt viele unterschiedliche Definitionen, aber im Ganzen befasst sich Informationsarchitektur mit der Auffindbarkeit und mit der Usability von Informationen, d.h. es geht nicht um das Programmieren von Webseiten oder die Strukturierung von Datenbanken, sondern um das Planen und den Entwurf einer Webseite, bevor sie gebaut wird.
Hier eine ganz einfache Analogie: Wenn man ein Gebäude baut, fängt man logischerweise erst mit einem Bauplan an. Alles wird (hoffentlich) im Voraus überlegt – von der Statik bis zur Elektrik oder wohin die Türen und Fenster kommen sollten. Insofern ist „Architektur“ ein passender Begriff für die Planung von Webseiten. Selbst bei sogenannten „agilen Entwicklungsmethoden“, wo man die Webseite oder Applikation nach und nach baut, wird jemand benötigt, der sich bei jeder Iteration um die gesamte Struktur und Planung der Seite kümmert.
Letztendlich ist Informationsarchitektur die Koordination von drei wichtigen Elementen: den Business-Zielen, den Zielen der Nutzer und den Inhalten einer Seite. Die wesentliche Frage bei der Informationsarchitektur ist, wie man dem Business Mehrwert bringen kann und gleichzeitig Besucher durch eine logische Organisation der Inhalte zufriedenzustellen vermag.
Wer sollte sich deiner Meinung nach mit Informationsarchitektur beschäftigen? Braucht das jeder Webprogrammierer?
Obwohl die Entwicklung einer Webseite sicherlich einen Einfluss auf die Konzeption hat, geht es bei der Informationsarchitektur – wie gesagt – nicht um das Programmieren. Die Ziele des Unternehmens und die Ziele der Nutzer sollten Programmierer aber schon im Auge behalten, ebenso wie Grafikdesigner, Manager und Texter. Insofern müssen alle Beteiligten eines Webprojektes eine gewisse Sensibilität für Informationsarchitektur haben, aber gerade bei größeren Projekten wird ein Informationsarchitekt benötigt, der sich mit der Struktur der Seite beschäftigt. Wenn kein Informationsarchitekt vorhanden ist, müssen sich andere mit Informationsarchitektur beschäftigen, denn jede Seite hat de facto eine Informationsarchitektur, selbst wenn sie nicht durchdacht ist. Die Frage ist, ob sie vernünftig ist und den Zweck des Business erfüllt.
Du hast das Buch „Handbuch der Webnavigation“ (im Englischen „Designing Web Navigation“) bei O’Reilly veröffentlicht. Was hat Webnavigation mit Informationsarchitektur zu tun?
An sich ist eine Informationsarchitektur unsichtbar: Sie ist eine abstrakte Struktur, oft in sogenannten Sitemaps skizziert, aber auch in Taxonomien und Metadata-Schemata zu finden. Webnavigation stellt einen Teil der Informationsarchitektur einer Webseite dar. Sie ist eine Repräsentationsform der Informationsarchitektur. Die Navigation einer Seite ist das, was der Besucher sieht und benutzt, um an die Informationen ranzukommen, die er braucht. Die Navigation hat eine direkte und kritische Auswirkung auf unseren Gesamteindruck als User, wenn wir mit Webseiten interagieren. Egal wie cool der Rest der Website ist, wenn die Navigation nicht stimmt, wirkt die Seite schlecht.
Du beschreibst in deinem Buch ein Framework für das systematische Herangehen an das Navigationsdesign von Webprojekten. Kannst du uns hier kurz die Grundzüge dieses Frameworks erläutern?
Das Design von Webnavigation setzt ein vielfältiges Spektrum an Wissen und Fähigkeiten voraus. Viele Faktoren beeinflussen ihr Design, ebenso wie viele Beteiligte auf einem Projekt: Der Grafikdesigner bestimmt die Farbgebung und das Layout, der Texter wählt die Beschriftung der einzelnen Navigationspunkte und der Projektleiter bestimmt den Umfang der Seite an sich usw. Deswegen ist das Framework, das ich in meinem Buch vorstelle, übergreifend, d.h. nicht auf nur eine Person bezogen, sondern auf das gesamte Projektteam.
Um das Framework verständlich zu machen, habe ich es in vier große Phasen eingeteilt, obwohl in der Realität die Grenzen zwischen den Phasen nicht so klar sind und man oft vorwärts und rückwärts in den Phasen springen muss. Es sind:
1. Analyse: Warum erstellt man die Webseite? Was soll damit erreicht werden? Der erste Schritt beim Webdesign besteht darin, den Zweck der Seite zu verstehen und in einen umfassenden Kontext zu stellen. Das klingt recht offensichtlich, wird aber allzu oft übersehen. Dazu muss man auch verstehen, wer die Nutzer der Webseite sind. Welche Informationsbedürfnisse und Ziele haben die Besucher einer Seite?
2. Architektur: Wie ist der Inhalt der Webseite organisiert und strukturiert? Hier kommen die klassischen Elemente der Informationsarchitektur ins Spiel: Sitemaps, Organisations-Schemata usw., aber auch ein Gesamtkonzept der Webseite. Die Entscheidungen, die man zur Architektur einer Seite trifft, sind tiefgreifend und oft sehr schwierig in der Zukunft abzuändern.
3. Layout: Wie wird die Navigation auf den Seiten aufgebaut? In wenigen Millisekunden können sich Menschen einen Eindruck über die visuelle Logik einer Seite bilden. Das Layout ist entscheidend für die Usability der Navigation.
4. Gestaltung der Oberfläche: Die Darstellung der letztendlichen Navigation beeinflusst, wie wir den Inhalt wahrnehmen. Die visuelle Aufbereitung ist nicht bloß eine nette Zugabe, sondern entscheidend für die Benutzbarkeit der Navigation.
Diese Phasen sind nicht als linear aufeinanderfolgende Zeitabschnitte zu sehen, sondern als verschiedene Stufen des Herangehens an die Problematik des Navigationsdesigns gedacht. Die Aktivitäten bewegen sich dabei vom Abstrakten zum Konkreten.
Der wesentliche Punkt ist, dass das Navigationsdesign viel mehr ist, als eine Reihe von Links zu erstellen. Ihre Auswirkung auf den Erfolg der Webseite und auf die gesamte Nutzbarkeit der Webseite ist tiefgreifend. Man sollte schon darauf achten, dass die Navigation durchdacht ist.
James Kalbach arbeitet als Human Factors Engineer bei LexisNexis, einem führenden Anbieter von juristischen Informationen, wo er Interfaces für Web-basierte Suchapplikationen entwickelt. Zuvor leitete er bei Razorfish in Deutschland den Bereich Informationsarchitektur. James hat einen Abschluss in Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Rutgers University sowie einen Master in Musiktheorie und Komposition.
James ist Redakteur bei Boxes and Arrows, einem führenden Online-Magazin zum Thema Benutzererfahrung im Web. Er gehörte dem Advisory Board des Instituts für Informationsarchitektur an und arbeitet im Organisationskomitee der europäischen Information-Architecture-Konferenzen.
Musik ist seine kreative Hauptbeschäftigung außerhalb seiner Arbeit. Er spielt Bass in einer lokalen Jazzband in Hamburg, wo er mit seiner Frau Nathalie und seiner Katze Niles lebt. James ist Liebhaber von sogenanntem Craft Beer (frisch und lokal gebrautes Qualitätsbier) und beteiligt sich unter dem Namen pivo regelmäßig mit Bewertungen und Berichten an der Online-Community RateBeer.com.
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