Letzten Dienstag fand in Frankfurt zum dritten Mal die Tools of Change statt. Einen kurzen Bericht gibt es wegen Buchmesse und Erkältung erst jetzt. Den europäischen Ableger der erfolgreichen US-Konferenz organisieren unsere amerikanischen Kollegen in Zusammenarbeit mit der Frankfurter Buchmesse. Die eintägige TOC widmete sich wieder den neuesten Entwicklungen der Verlagsbranche und der Zukunft des Verlegens. Wie eine US-Kollegin sagte, war die Konferenz mit etwa 500 Teilnehmern in diesem Jahr noch besser besucht als in den letzten Jahren.
Auch Kollegin Elke und ich waren wieder dort. Vom Aufstehen im Morgen*grauen*(!) abgesehen ein lohnender Konferenztag: Branchen-Kollegen treffen, mit O’Reillys aus UK und den USA sprechen und Vorträgen und Panel-Diskussionen zuhören, bis (insbesondere bei Erkältung) fast der Kopf platzt.
Den Auftakt der TOC bildeten 3 Keynotes im großen Platinum-Saal des Marriots. Bob Stein (Institute for the Future of the Book) sprach als erster. Ein Problem bei Veränderungen ist aus Bobs Sicht, dass sie so lange Zeit schwer zu erkennen sind. Wasser, das man erhitzt, sieht eben noch immer wie Wasser aus; das ändert sich erst, wenn es zu Wasserdampf wird. Bob appellierte an die Konferenzbesucher, jetzt das gesamte Publishing-„Ecosystem“ neu zu denken. Ein wesentlicher Aspekt: In der neuen vernetzten Ära können Buch und Lesen in neuer Weise sozial werden. Bob stellte die Social Reading-Plattfom SocialBook vor und illustrierte, wie Social Reading aussehen kann: Menschen, die sich kennen, können gegenseitig ihre Kommentare zu einem Buch einsehen. Genauso ist natürlich möglich, dass alle Leser eines Buches die Kommentare der anderen einsehen können (vorausgesetzt sie wurden entsprechend freigegeben). Denkbar ist aber auch, die Anmerkungen eines Experten als Mehrwert eines Texts zu verkaufen. Oder man ermöglicht im Rahmen einer Live-Lesung, dass sich Autor und Leser austauschen, der Autor Fragen beantwortet. Bob Stein hatte diese Ideen auch schon im Rahmen des Publishers‘ Forum in Berlin vorgestellt. Ein Video von diesem Vortrag gibt es hier.
Der appellative Charakter ist sicherlich typisch für Keynotes. Auch Mitch Joel (Six Pixels of Separation) hielt fest, dass sich die alte Verlagswelt überlebt hat. Er erzählte die Geschichte des Spaniers Hernán Cortés.
Cortés hatte Anfang des 16. Jahrhunderts das Aztekenreich erobert; er zwang seine Schiffsbesatzungen in den Neuanfang, indem er die eigenen Schiffe verbrannte und eine Umkehr unmöglich machte. In diesem Sinne ist laut Mitch ein radikales Reboot (CTRL-ALT-DEL) nötig. Es reicht nicht, dass Verlage interne Prozesse verändern oder ein bisschen Facebook machen. Das Reboot betrifft alles: Workflows, die Verlagsbranche, die Geschäftsmodelle. Und nur wer sich konsequent auf das Reboot einlässt, hat Überlebenschancen.
Mitch beschrieb den heutigen Leser als „24 hours customer“, der inzwischen zunehmend mobil auf Inhalte zugreift und „ahead of the market“ sei. Er appellierte an die Verlage: Nicht der Kunde sucht eine Marke auf, sondern der Verlag muss sich um seine Kunden bemühen. „It’s your job to like your customer“. Das ist sicher keine neue Einsicht, aber ganz bestimmt eine, die sich Unternehmen nicht häuftig genug hinter die Ohren schreiben können.
Oliver Reichenstein (Information Architecs) hielt die dritte Keynote über „Reading Typography and Writing Typography“ für Bildschirme. Ich gehe hier nicht näher auf seinen Vortrag ein. Bei meiner Vorbereitung auf die TOC fand ich dieses Interview mit ihm interessant.
Nachmittags war ich dann ganz im Goldrausch. Naja, das meint, dass ich mich eher in den kleineren Vortragsräumen Gold 1 und 2 (Silber oder Bronze gibt es im Marriot nicht) aufgehalten habe. Hervorheben möchte ich den Vortrag meines US-Kollegen Sanders Kleinfeld. Sanders unterstützt uns im Kölner O’Reilly Büro immer wieder mit E-Book-Know-how – beispielsweise, wenn wir unsere EPUBs erzeugen. Auf der TOC sprach Sanders zusammen mit Josh Mullineaux von Highlighter.com über HTML 5 und wie Verleger ihre Buchtexte mit HTML5 Canvas, Geolokation und Audio/Video wirkungsvoll erweitern können. Noch ist das durch die unterschiedliche Unterstützung von HTML5 und EPUB beispielsweise durch iBooks oder Nook Color allerdings nicht trivial. Das E-Book „HTML 5 for Publishers“ kann von Usern mit einem O’Reilly-US-Account kostenlos von oreilly.com heruntergeladen werden.
Am meisten hat mich auf der TOC ausgerechnet eine Session gestandener Standardisierungsveteranen mit teils feinem Humor beeindruckt. Bill McCoy vom International Digital Publishing Format hat jahrzehntelange Erfahrung in der Arbeit von Standardisierungsgremien. Er erläuterte die Neuerungen von EPUB 3. EPUB 3 wurde übrigens am Tag der TOC veröffentlicht. Bill McCoy meinte, mit EPUB 3 sei alles sehr schnell gegangen – gemessen an typischen Standardisierungsprozessen quasi mit Lichtgeschwindigkeit. Für Interessierte hier der Link zu den Spezifikationen.
Gar nicht bewusst war mir, dass es mit nextPub eine Art EPUB-Derivat für magazinartige Publikationsformen gibt.
Neben vielen weiteren Sessions und einigen Ignite-Vorträgen stellten US Kollege Joe Wikert und Rüdiger Wischenbart am Ende des Konferenztags die Studie „The Global eBook Market: Current Conditions & Future Projections“ vor. Interessierte können Sie hier kostenlos herunterladen.
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