Kommentare 1

Von Gründern, Büchern, Punks und Viren – eine ganz persönliche Dataviz-Lovestory

Außerdem: Werbung für ein Grundlagenbuch von Claus O. Wilke.

Bild: Edward Howell, Unsplash.com

Im Spätsommer 2004 stand ich vor einem Problem: Ich war mit der Uni fertig, wusste aber nicht so richtig, was ich arbeiten sollte. Also beschloss ich, mein Lieblingshobby – die Organisation von Punk- und Indiekonzerten – zumindest vorübergehend zum Beruf zu machen. Dafür brauchte ich eine kleine Agentur. Für deren Gründung brauchte ich Fördergelder. Und um die zu bekommen: einen Businessplan. Dessen Erfolg bei der Auswahlkommission wäre, so hörte ich, unter anderem davon abhängig, wie überzeugend darin Marktanalysen (oh!) und Umsatzprognosen (ah!) dargestellt würden. Heißt also: Das Ding brauchte solide Diagramme, Schaubilder, Datenvisualisierungen.

Datenvisualisierung, Europa-Tour und Schönheit der Information


Blöderweise hatte ich damals keine Ahnung, wie dieser Dataviz-Kram funktionierte, wurde aber zum Glück von einem Freund gerettet (natürlich Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker). Nach ein paar Stunden Excel-Magic war alles fertig, der Plan wurde eingereicht, bekam großes Lob – und ich konnte für ein paar Jahre Bands quer durch Europa schicken (was eine andere Geschichte ist). Datenvisualisierung hatte erst mal keine größere Bedeutung mehr in meinem Leben.

Fast forward ins Jahr 2009: In Berlin zeigte mir eine Freundin Information is Beautiful von David McCandless, ein längst zum Klassiker avanciertes (leider nicht bei O’Reilly erschienenes) Sachbuch über: Datenvisualisierung! Und dieses Mal war ich aus dem Häuschen, denn:

„Facts, statistics, issues, theories, relationships, numbers, words – there is just too much information in the world. We need a brand new way to take it all in. ‚Information is Beautiful‘ transforms the ideas surrounding and swamping us into graphs and maps that anyone can follow at a single glance.“ 

aus „Information is Beautiful“

Ich schaute mir das Buch am Frühstückstisch, im Badezimmer und im Park an, war begeistert von McCandless‘ Ideen und wusste: Ich will und werde am Ball bleiben.

Datenvisualisierung, NGOs und EU-Projekte

Ein paar Jahre später stieß ich (während meiner O’Reilly-Zeit in Köln) auf die OKFN-Seite offenerhaushalt.de. Hier wird seit 2011 dokumentiert, wie viel der Staat wofür ausgibt und wie die einzelnen Posten im Verhältnis zueinander stehen (z. B. Rüstung und Bildung/Forschung), natürlich mit amtlichen Dataviz-Methoden. Ein tolles Projekt – und ein weiterer Meilenstein auf meinem Weg ins Datenparadies.

Den vollumfänglichen Dataviz-Fix gab’s schließlich ab 2016 bei der Deutschen Welle: Gleich zwei neue Kolleg*innen hatten (haben!) einen Datenjournalismus-Hintergrund, und mit Your Data Stories gab’s ein spannendes EU-Projekt, das ich immer wieder mal ein Stückchen begleiten durfte, zum Beispiel als CMS-Tester oder Blogger. Mein Appetit auf Daten und Diagramme war nun ganz schön groß.

Wenn ein Virus die Datenvisualisierung befeuert

Und dann kam: 2020. Und die Corona-Krise. Die finde ich weiterhin belastend, aber mindestens eine gute Auswirkung hat sie dann doch: Sie sorgt nämlich für einen so nie dagewesene und scheinbar lang anhaltenden Dataviz-Boom.

Der ehemalige Informatik-Prof Ben Shneiderman beschreibt das Phänomen treffend in einem Medium-Post

„The complexity and importance of COVID-19 has put data visualization center stage in worldwide discussions. The free public websites have boosted data visualization literacy, which could lead to more people using interactive tools to explore data for many applications and then presenting their results to more receptive visually literate audiences.“

Ben Shneiderman
Johns-Hopkins-Visualisierung europäischer Corona-Hotspots im März 2020. Bild: @claybanks / Unsplash.com

Grundlagen und Praxis – vom Balkendiagramm bis zum Quantile Dot Plot

Freilich: Alleine das Anschauen von und Rumexperimentieren mit Charts macht einen noch nicht zum Dataviz-Pro. Dazu sollte man irgendwann einen Crashkurs absolvieren und zumindest ein bisschen was nachlesen über Balken und Punkte und Heatmaps und Histogramme und Dichtediagramme und Boxplots und Strip Charts und Torten und Mosaike und Hex-Bins und Choroplethen und Eyes und Quantile Dot Plots und Fitted Draws – und was es sonst noch alles gibt. Da bin ich gerade bei, damit mein nächstes Projekt (eine Datenvisualisierung mit Datawrapper für das EDMO-Konsortium) kein Murks wird.

Sehr hilfreich ist dabei das Buch Datenvisualisierung – Grundlagen & Praxis von Claus O. Wilke, ein genau zum richtigen Zeitpunkt erschienener O’Reilly-Titel, der dann auch Anlass für diesen Blog-Post ist. Probekapitel gibt es hier und hier. Kaufen könnt ihr das Buch in analoger und digitaler Form  (39,90 Euro bzw. 31,99 Euro). So oder so ist es sinnvoll investiertes Geld. *Ende des Werbeblocks*

Datenvisualisierung Buch Beispielseite
Praxisnah und anschaulich: Claus O. Wilkes‘  Einführung in die Prinzipien, Methoden und Konzepte der Datenvisualisierung

Post-Hardcore, komplexe Dataviz und Wahl der Tools

Wie kriege ich jetzt die Kurve zum Intro? Ach ja: Die damals benötigten Pie- und Bar-Charts kann ich inzwischen locker aus dem Ärmel schütteln. Mit der Visualisierung sehr komplexer Daten – sagen wir: meiner Stationen und Eindrücke als Underground-Kulturmanager – wäre ich weiterhin überfordert. Aber es kann (und muss) auch nicht jeder so talentiert sein wie Carni Klirs, die hier die Geschichte der Post-Hardcore-Truppe Fugazi in unfassbar beeindruckende Infografiken gegossen hat.

Die Wahl ihrer Tools (Charticulator, Illustrator, InDesign, kepler.gl, Photoshop, RAWGraphs, Tableau) würde Claus O. Wilke übrigens nur bedingt begrüßen. Einerseits räumt er zwar ein, dass Designer mehr Sinn für Ästhetik haben als Wissenschaftler, andererseits sagt er aber, dass sie nicht so gut im Daten-Handling sind – und fordert möglichst vollständige Automatisierung bei der Visualisierung (bei ihm aktuell realisiert mit R und ggplot2). Von der Politur mit statischen Tools hält er nicht so viel. 

In jedem Fall ist sein Buch (ich darf’s noch mal verlinken, oder?) eine prima Referenz für Wissenschaftler und Designer – und für alle Menschen, die Datenvisualisierung besser verstehen und/oder auf vernünftigem Niveau lernen möchten. Ich wage jetzt mal das zeitgemäße Experiment, sowohl auf CSV und Variablen als auch auf komfortable Web-Tools und schickes Design zu setzen.

Datenvisualisierung Buch
Wie destilliere ich Erkenntnisse aus Datensätzen? Claus O. Wilke behandelt in seinem Buch
alle Aspekte, die für eine erfolgreiche Datenvisualisierung entscheidend sind.
Sag's weiter:

1 Kommentare

  1. Pingback: 2020: Ein persönlicher Jahresrückblick von A bis Z - lxplm.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert