Viele Menschen begegnen künstlicher Intelligenz vorrangig mit Angst. Dass sie uns falsch informiert, falsche Dinge vorschlägt, Inhalte vorenthält, Arbeit weg- statt abnimmt, irgendwann klüger ist als die Menschen selbst. Die Aufmerksamkeit für AI, neuronale Netze, Machine und Deep Learning steigt aber an – und die Zahl der Anwendungsfälle auch.
Ganz allgemein gesprochen zielt Machine Learning darauf ab, einen Rechner mit bestimmten Verfahren zu (mehr oder weniger) selbständiger Wissensaufnahme und -erweiterung zu animieren – auf dass er anschließend bestimmte Probleme deutlich besser lösen möge. Dieser Ansatz ist nicht neu, aber er wird immer populärer. Das bestätigt zum Beispiel eine Suchanfrage bei Google Trends. Oder ein Blick auf aktuelle IT- und Wirtschaftspublikationen. Aber auch bei der Lektüre anderer Fachmedien und ganz normaler Zeitungen scheint einen das Thema regelmäßig anzuspringen.
Städte leiser, Menschen gesünder machen
Die Zeit berichtete Mitte November von einem neuen Versuch der Stadt New York, endlich den „Krieg gegen den Krach“ zu gewinnen. In a nutshell geht die Story so: NYC ist oft illegal laut, aber die städtischen Inspektoren können wenig ausrichten – vor allem, weil sie zu langsam sind. Mit günstiger Hardware und smarter Software ist es nun aber möglich, „Lärm-Live-Feeds“ (ohne Datenschutzhorror) einzurichten, die fiesen Krach mit Orts- und Zeitangabe automatisch zu Protokoll bringen und damit ahndungsfähig machen. Die korrekte Unterscheidung zwischen Hupkonzert, Sirenen-Sound, Techno-Geballer, Bohrmaschinen-Boogie und vielen anderen Lärmquellen ermöglicht ein neuronales Netzwerk.
Im Blog des Universitätsspitals Zürich konnte man im September von erstaunlichen Fortschritten in Sachen Krebsdiagnostik lesen: Rechner können das jetzt genau so gut wie Ärzte (und bald sicher besser). Hintergrund ist auch hier wieder die Anwendung von ML in Kombination mit leistungsfähiger, erschwinglicher Hardware. „Das Computer-Programm wurde mit einer typischen Kohorte von Mammographien trainiert, wie sie in der radiologischen Bildgebung am USZ vorkommt“, schreiben die Wissenschaftler. „Anschließend wurde die Leistungsfähigkeit des trainierten Programms an mehreren Sammlungen von Mammographien getestet.“
Wichtige Randbemerkung: Das Ziel ist hier glücklicherweise nicht, den Arzt wegzurationalisieren, sondern seine Arbeit zu unterstützen und möglicherweise Zeit für mehr Kommunikation mit dem Patienten freizuschaufeln („Bestätigung, Interpretation, und Demonstration der maschinell erhobenen Befunde“).
Machine Learning gibt es schon lange
Die beiden Geschichten zeigen exemplarisch, dass Machine Learning neue Branchen und Bereiche erschließt. „Traditionelle“ Anwendungsfälle verschwinden derweil natürlich nicht: E-Mail-Spam-Filter, Malware-Erkennung, Empfehlungsmaschinen für Musik/Filme/Klamotten oder automatisierte Übersetzungsdienste – das alles basiert auf Machine Learning. Ein Internet ohne diese Technologie ist kaum noch denkbar. Vor allem beim E-Commerce spielt sie in letzter Zeit eine immer wichtigere Rolle, etwa wenn es darum geht, Online Retail Fraud (also Betrugsfälle bei Versandhändlern) zu verhindern. Wie differenziert einige Labeling-Programme inzwischen arbeiten, zeigt folgendes Beispiel. Während Kunden, die via Proxy-Server bestellen und einen Re-Shipping-Dienst nutzen, von normalen Kontrollinstanzen als auffällig bis unseriös abgestempelt werden, garantiert ihnen der Fraud-Protection-Dienst Riskified einen Vertrauensstatus, falls sich die finale Lieferadresse in China befindet – wo halt permanent Proxy plus Re-Shipping eingesetzt wird.
Damit sind natürlich noch immer nicht alle ML-Anwendungsfelder abgehakt. Hier sind noch ein paar wichtige im Schnelldurchlauf: Detaillierte Vorhersagen (vom Aktienkurs bis zum Tropensturm), Automobilität im wahrsten Sinne des Wortes (fahrerlose Pkw und Züge, unabhängige Drohnen), komplizierte Spiele (Schach und Go).
Machine Learning verschwindet nicht mehr
Lange Rede, kurzer Sinn: Smarte Algorithmen, die nicht nur einen Fisch verspeisen, sondern ihn selbstständig angeln können (Details zu dieser Analogie im Sideways Dictionary), gibt’s inzwischen fast überall. Und sie gehen nicht mehr weg. Falls ihr euch ein wenig mit ihnen beschäftigen wollt – wir hätten da Bücher im Angebot.
Last, but not least noch der Hinweis auf andere Beiträge im oreillyblog, die sich maßgeblich mit Machine Learning & Co. beschäftigen:
- Von neuronalen Netzen und ganz vielen anderen Dingen: Ein Interview mit Tariq Rashid
- False Positive, na und? – Data Mining, Überwachungsstaat und der ganze Rest:
Teil 1: Data-Mining 101, Data-Mining-Arten, Lernarten
Teil 2: Hallo Wortvektor, hallo Spam!
Teil 3: Die 99%ige Sicherheit und der “auffällige” Bürger
Teil 4: Wie werde ich Data Miner?