Thomas Raukamp (Tumblr) arbeitet seit fast 20 Jahren als freiberuflicher Autor und Journalist in den Bereichen Musik, Technik und Sport. Für O’Reilly schrieb er in diesem Jahr einen Querformater zu Spotify, der mir so einige bislang nicht genutzte Funktionen des Streamingdienstes eröffnet hat. Mehr dazu: Jetzt hier in diesem Interview.
Thomas, gestattest du uns eine persönliche Frage: Welches war dein erstes Album, das du dir selbst gekauft hast?
„Give Me Your Heart Tonight“ von Shakin’ Stevens. Aus irgendwelchen, für mich heute kaum nachvollziehbaren Gründen bin ich als Kind Anfang der Achtziger in ein Rock-’n’-Roll-Revival gerutscht, das erst meinen älteren Bruder und dann mich erfasst hat. Weitaus prägender war für meine weitere musikalische und letztlich berufliche Entwicklung aber der nächste, weitaus gelungenere Kauf: „Human’s Lib“ von Howard Jones. Die nachfolgende Tour war dann auch mein erstes Liveerlebnis: Eine komplett autark arbeitende Person turnte inmitten von knapp zwanzig Synthesizern und frühen Drumcomputern auf der Bühne herum. Mir stand der Mund und der Blick in die Zukunft der Musik offen.
Kaufst du heute noch CDs? Oder überhaupt Alben, auch digital?
Nein, ich konnte mich nie mit der CD anfreunden. Jean Michel Jarre nannte sie kürzlich „die Kompaktkassette des digitalen Zeitalters“. Sie war und ist eine einzige Mogelpackung: Der Klang ist im Grunde schlechter als der von Vinyl. Und versuch doch mal, eine dreißig Jahre alte CD abzuspielen – die Chancen sind riesengroß, dass da nichts mehr rauskommt. Dabei hatte man uns versprochen, dass die Dinger notfalls den damals stets um die Ecke vermuteten Atomkrieg überleben würden. Und dann erst diese peinlichen kleinen Booklets – wer vom Vinyl kam, musste dies als schmerzhaften Abstieg wahrnehmen.
Letztlich haben Downloads das Album beerdigt, nicht das Streaming. Denn die monetäre Versuchung ist einfach zu groß, statt eines Komplettwerks einfach die Titel herunterzuladen, die gefallen oder in den Charts sind. Erst Streaming lädt doch wieder zum Einlassen auf Konzeptalben ein – auch wenn die „Gapless-Wiedergabe“ merkwürdigerweise eine unlösbare Herausforderung an die Programmierer zu sein scheint.
Bei Künstlern ist Spotify umstritten. Taylor Swift beschwerte sich öffentlich über zu geringe Vergütungen und einige Bands wie beispielsweise Radiohead und Coldplay zogen ihre Musik zwischenzeitlich komplett vom Streamingdienst ab. Als Fan möchte ich natürlich wissen: Tue ich meiner Lieblingsband einen Gefallen, wenn ich Spotify nutze?
Eigentlich ist es grotesk, dass ausgerechnet Megastars wie Taylor Swift Spotify den Rücken zukehren – immerhin würde wohl gerade sie Streamingzahlen erreichen, die das Format für sie durchaus lukrativ machen würden. In ihrer ideologischen Begründung ringt mir ihr Schritt jedoch Respekt ab.
Es sind vielmehr die unbekannten Künstler, für die Streaming vom reinen Umsatz her natürlich gar keinen Sinn ergibt und pro Monat höchstens ein paar Cents erwirtschaftet. Richtig eingesetzt, kann Streaming für sie jedoch eine hervorragende, weil unkomplizierte Promotion-Plattform zum Bekanntmachen der eigenen Musik sein. Denn glaubt irgendjemand, dass eine Band, die bei irgendeinem kleinen Indielabel unter Vertrag steht, überhaupt einen Euro Gewinn beim Verkauf von CDs macht? Wahrscheinlich zahlen sie für die Produktion sogar drauf.
Und nicht vergessen: Eine CD kann schließlich unendlich kopiert werden. Bereits Stunden nach der Veröffentlichung von Taylor Swifts „1989“ tauchten Komplettmitschnitte auf YouTube auf und eröffneten so den Kampf gegen Windmühlen. Da fragt man sich, ob Spotify nicht das kleinere Problem gewesen wäre …
Ich wünsche mir letztlich, dass Künstler wie Taylor Swift ihren Gedanken zu Ende denken und komplett unabhängig auf Plattformen wie zum Beispiel Bandcamp statt bei einem Majorlabel veröffentlichen würden. Denn erst dann fließt der Großteil des Geldes direkt in ihre eigenen Taschen. Das setzt natürlich Fans voraus, die ihre Lieblingsband auch wirklich unterstützen möchten. Und mir scheint es eher daran zu hapern – übers temporäre Lippenbekenntnis geht es doch meist nicht hinaus.
Wenn ich Spotify höre, drücke ich eigentlich nur Play. Du aber hast dich für das Spotify-Buch durch jedes Menü geackert – wurdest du dabei überrascht? Welche versteckte Funktion wird von mir möglicherweise weder beachtet noch geschätzt?
Ich bin immer wieder überrascht, wie gut Spotifys „Titel-Radio“ stilistisch zu meinem Geschmack passende Musik aus den Tiefen der Streaming-Bibliothek ans Tageslicht befördert. Besonders, wenn reger Gebrauch von den „Likes“ und „Dislikes“ gemacht wird, entsteht hier mit der Zeit ein ganz individueller Soundtrack voller Überraschungen. Denn dies ist doch letztlich genau das, was Streamingdienste besser können als jeder Plattenladen und vor allem die Grabbelkiste bei „Media Markt“: neue Musik entdecken zu helfen.
Sehr nützlich fand ich die inzwischen vielseitigen Möglichkeiten, Spotify von meinem Desktop-Rechner loszulösen und beispielsweise mit ins Auto zu nehmen. Wie sind deine Erfahrungen damit, insbesondere wenn du unterwegs bist und es nicht überall flächendeckendes Netz gibt?
Ich käme gar nicht auf die Idee, mein Datenvolumen für das Musikstreaming zu verplempern. Spotify bietet in seinem Premium-Abo eine denkbar einfach zu bedienende Offline-Funktion, die Playlisten auf dem Smartphone beziehungsweise Tablet zwischenspeichert. Am besten stellt man sich etwa vor einer Flugreise eine ausführliche Wiedergabeliste mit den Titeln zusammen, die man hören möchte. Oder befüttert eine Playliste, die man dann zum Beispiel für längere Autofahrten immer parat hat. Kuratiert man diese zusammen mit Freunden, kann man sich unterwegs vielleicht sogar von neuer Musik überraschen lassen. Denn wer hat früher nicht gern Mixtapes- und CDs zusammengestellt?
Okay, ich gebe zu: Es ging hier nicht um mich, sondern darum, dass der Nachwuchs auch im Ferienhaus eine Conni-Geschichte zum Einschlafen bekommen konnte. #hüstel Spotify-App auf dem Handy und WLAN sei Dank hat das geklappt :)
Letzte Frage: Welche Musik begleitete dich durch den Schreibprozess?
Beim Schreiben selbst kann ich keine Musik hören – besonders, wenn sie Texte enthält. Ich könnte mich dann nicht konzentrieren. Anders beim Korrekturlesen: Da fördern Stücke von Nils Frahm, Max Richter, Hauschka, Random Forest oder auch To Rococo Rot meine Aufmerksamkeit.
Thomas, vielen lieben Dank für das Gespräch und immer schöne Töne :-)!