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Stop – Look – Listen: O’Reillys „Tools of Change“ zum zweiten Mal in Frankfurt am Main

2. TOC in Frankfurt a.M.

Morgens um 5:00 aufstehen zu müssen, ist eine Strafe, aber wenn der Tag interessant wird, kommt man darüber hinweg. Schon um 8:30 fanden sich mein Kollege Gerd Miske, Elke Hansel, unsere Geschäftsführerin, rund 350 weitere Zuschauer und ich selbst zur ersten Keynote der zweiten TOC in Frankfurt ein. Die „Tools of Change“ von O’Reilly, in Zusammenarbeit mit der Buchmesse Frankfurt veranstaltet, ist der europäische Ableger der TOC in NYC. In 22 Panels beleuchtete die Konferenz einmal mehr die aktuellen Entwicklungen des digitalen Publizierens.

Im Unterschied zur TOC in NYC im Februar, wo viel von Enhanced und Enriched E-Books die Rede war, ging es in Frankfurt etwas bodenständiger verstärkt um Book Apps. Ansonsten war das Programm wieder ausgesprochen vielfältig, schwer, sinnvoll darüber zu berichten.

Joe Wikert (O'Reilly Media), Ignite!-Session

Andrew Savikas, VP of Digital Initiatives von O’Reilly Media und Program Chair der Konferenz, erinnerte in seiner Keynote mit dem Titel „Stop, Look,  & Listen: Why Publishing is About Solving Problems, not Selling Books“ daran, dass es immer um die Leser/Kunden geht. In Verlagskreisen hat man sich etwa angewöhnt, von Content zu sprechen. Leser und Konsumenten denken aber nicht in dieser abstrakten Kategorie, sie erwarten schlichtweg nützliche Produkte und Serviceangebote (Informationsdienstleistungen). Andrew beleuchtete in seinem Vortrag immer wieder die Begriffe „form“ und „format“. Es ging ihm darum, „format“ – also die „delivery mechanisms“ beispielsweise in der Form (oh, das wird kompliziert :) eines E-Book-Bundles von „form“ als dem inhaltlichen Organisationsprinzip eines  Informationsangebots zu unterscheiden. Als Beispiele für „form“ nannte er u.a. die Textgattung „Artikel“ (in einer Zeitung oder auf einer Website). Andrew meinte, dass aus O’Reilly-Perspektive momentan noch kein nachlassendes Interesse an der „form“ „Buch“ festzustellen sei. Trotzdem ist es für Verleger gefährlich, unreflektiert an alten „forms“ festzuhalten. Im Fall der HTML & XHTML Pocket Referenz entwickelt O’Reilly die Taschenreferenz deshalb in Richtung einer App weiter (d.h. Browser-gestützt, interaktiv auf Datenbankinhalte zugreifen).  Bei anderen Titeln hat O’Reilly Media die Attraktivität des „formats“ – beispielsweise durch E-Bundles – erfolgreich verbessert. Mit dem Ergebnis, dass über oreilly.com inzwischen 10x mehr E-Books als gedruckte Bücher verkauft werden.

Wer früh aufsteht, kann gut einen Kaffee gebrauchen

Schon durch die zeitliche und räumliche Nähe zur Buchmesse bemüht sich die TOC, digitales Publizieren international zu sehen. In der zweiten Keynote berichtete Prof. Pablo Arrieta ausgesprochen lebendig, wie die Menschen in seinem Heimatland Kolumbien (und anderen Ländern Lateinamerikas) inzwischen auf Smartphones oder auch dem iPad lesen. Interessant auch, dass das iPad als erster E-Book-Reader direkt im Land gekauft werden konnte. Zwar fehlt es noch an Inhalten in spanischer Sprache, aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass digitale Inhalte für diese Menschen eine Chance darstellen. Sie sind einfacher und günstiger zu beziehen als gedruckte Bücher. Arrieta sagte in Richtung der Verlage: “There are many ways to cross the bridge to customers“.

Alle, die auch um 9:30 noch nicht wach waren, weckte Douglas Rushkoff mit der These auf, dass die Verlagsbranche zukünftig mit nur 40% aller Beschäftigten auskäme. Hauptinteresse von Rushkoff war aber eigentlich, dass wir uns alle reflektierter mit Programmen und digitalen Phänomenen auseinander setzen sollten. Facebook behaupte beispielsweise, einem Jugendlichen wie Jonny zu helfen, dass er Freunde findet, in Wirklichkeit ginge es aber darum, Jonnys Beziehungen zu monetarisieren. Um einen gewissen kritischen Abstand zu wahren, riet Rushkoff, möglichst viel über die Logik und Funktionsweise von Programmen zu lernen und er mahnte andererseits “Do Not Always ‘Be On’”. Wie intensiv wir digital leben, illustrierte Rushkoff am Beispiel von regelmäßig beobachteten „Phantomvibrationen“. Phone- oder Android-Nutzer denken, dass ihr Smartphone vibriert, auch wenn sie es gerade nicht dabei haben.

Rushkoff äußerte sich kritisch über die Tendenz, dass sich im Online-Business Strukturen der Form „Aggregatoren der Aggregatoren“ bilden. Wer heutzutage Publishing betreiben wolle, so findet Rushkoff, der sollte sich darauf konzentrieren, „deep value“ zu schaffen.

DRM ist auch auf der TOC 2010 nicht populär

Wie schon im letzten Jahr war der Vortrag von Michael Tamblyn von Kobo hörenswert. Tamblyn referierte, was der E-Book-Seller Kobo über seine Leser weiß: dass 90% momentan nur auf einem Device lesen, 10% auf mehreren Geräten (diese Gruppe wächst). Dass 50% mobile Geräte wie Smartphones oder Tablet PCs nutzen und die anderen 50% E-Ink-Reader. Die Nutzung der mobilen Geräte nimmt allerdings stetig zu. Bücher zu verkaufen hieße, so Tamblyns abschließendes Fazit, nicht nur technische Probleme zu lösen, sondern sich leidenschaftlich mit den Bedürfnissen der Leser zu beschäftigen.

Die Abschluss-Keynote des Tages hielt hochprofessionell und temperamentvoll Journalist und Bestsellerautor Jeff Jarvis (Was würde Google tun?). Jeff Jarvis ist vielen schon von der re:publica als Sprecher bekannt. Da seine Keynote „The End of the Parenthesis” in 3 Teilen bei YouTube zu sehen ist , spare ich mir eine Kurzbeschreibung. Dieser Bericht ist ohnehin schon viel zu lang geworden.

P.S. Die Slides zu Joe Wikerts Ignite!-Vortrag „My eContent Wish List“ gibt es inzwischen auf Slideshare.

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