Wie lassen sich digitale Tools und Trends für gesellschaftliche, soziale oder ökologische Aufgaben einsetzen? Und wie können sie helfen, beispielsweise ehrenamtliche Arbeit zu organisieren? Dass gerade das Netz jede Menge Potenzial auch im Nonprofit-Bereich hat, ist wenig überraschend. Sophie Scholz hat das erkannt und bereits 2008 die Socialbar gegründet. Heute berichtet sie im oreillyblog mehr darüber.
Liebe Sophie, kannst Du uns kurz skizzieren, was und wer sich genau hinter dem Begriff Socialbar verbirgt?
Wir haben die Socialbar 2008 gegründet, weil wir gemerkt haben: Der digitale Wandel hat auch große Relevanz für die Zivilgesellschaft. Da bewegt sich sehr viel. Mit unserer Initiative wollten wir Veranstaltungen für die Menschen organisieren, die sich im digitalen Bereich innerhalb der Zivilgesellschaft engagieren. Damals, in den Jahren 2007/2008, gab es beispielsweise viele neue digitale Fundraising- und Netzwerkplattformen. Wir wünschten uns, dass diese neuen Akteure mit den alten zusammen kommen. Die Menschen sollen voneinander lernen.
Wir haben die Socialbar von Anfang an bewusst offen konzipiert, das heißt: Jeder, der will, kann das Konzept in seiner eigenen Stadt umsetzen. 2010 hatten wir dann in 17 Städten Socialbars, inzwischen hat sich das wieder konsolidiert. Momentan sind wir in sechs Städten aktiv.
Vor Ort sind dann ehrenamtliche Helfer, die die Socialbars jeweils organisieren?
Genau, es sind immer kleinere Gruppen von durchschnittlich zwei bis drei Ehrenamtlichen, die Abendveranstaltungen planen, ReferentInnen einladen, einen Ort organisieren und dann einladen. Als in vielen Städten Veranstaltungen entstanden, haben wir gemerkt, dass wir auch eine koordinierende Ebene darüber brauchen. Im Rahmen dieser sogenannten „globalen“ Socialbar haben wir dann den Trägerverein „VereinBar“ gegründet.
Wen sprecht Ihr an, wer kann zu Socialbar-Events kommen?
Grundsätzlich sind wir offen für jeden, der sich für unsere Themen interessiert. Die Veranstaltungen sind kostenfrei. Hier in Berlin kommen beispielsweise viele Hauptamtliche, die in der PR/Öffentlichkeitsarbeit oder im Digitalbereich einer NGO arbeiten. Sie wissen, dass sie bei uns Kollegen treffen, die an ähnlichen Fragestellungen arbeiten – und dass sie konkrete, nützliche Informationen bekommen. Beispielsweise gab es Abende zu Suchmaschinenoptimierung für NGOs und zu einem Whatsapp-Projekt, das der BUND e.V. einmal durchgeführt habe.
Neben den professionellen NGO-Mitarbeitern besuchen uns aber auch Studierende, die im Rahmen ihrer Ausbildung auf uns gestoßen sind und die Schnittstelle digitale Medien und Zivilgesellschaft spannend finden. Dann gibt es Menschen, die sich in kleinen Initiativen engagieren und diese stärker im Social Web zeigen wollen – und das bei uns lernen wollen. Oder Social Entrepreneurs, die zu uns kommen. Unsere Berliner Socialbar findet im Taz-Café statt, deshalb kommen auch Taz-Leser. In anderen Städten gibt es je nach inhaltlichem Fokus auch noch andere Besucher. In Stuttgart (die Socialbar ist momentan inaktiv) geht es beispielsweise stark um Nachhaltigkeit, und in Bremen findet die Socialbar im Hackerspace statt, weshalb hier überdurchschnittlich viele Techies kommen. Oder Dresden: Hier lag der Schwerpunkt auf „Transition Town“, das Digitale spielt also eine untergeordnete Rolle, der Fokus ist Innovation für sich selbst genommen.
Die digitale Transformation verändert seit einigen Jahren so gut wie alle Lebensbereiche. Welche Chancen bringen Vernetzung und „On-Sein“ für gesellschaftliche und soziale Aufgaben?
Eine gute Frage, mit der unsere Besucher oftmals zur Socialbar kommen: Was bringt mir das eigentlich?
Ich sehe zwei Ebenen: Einerseits die interne – digitale Medien helfen sehr, die Zusammenarbeit in der Gruppe zu organisieren. Natürlich bedeutet es zunächst Aufwand, sich ein Tool anzulernen. Aber mit Hilfe digitaler Tools kann die Arbeit sehr viel transparenter und damit anschlussfähiger werden.
Die Landschaft ehrenamtlicher Arbeit hat sich in den vergangenen Jahren ohnehin stark verändert. Dieses „ich trete mit 15 in die freiwillige Feuerwehr ein und bleibe da, bis ich 50 bin“ wird weniger – die Menschen organisieren sich kurzfristiger und weniger an eine Organisation denn an ein Thema gebunden. Sie beteiligen sich beispielsweise an einer Greenpeace-Aktion zum Thema Müll, und wenn dann der NABU eine Aktion zum gleichen Thema fährt, machen sie auch dort mit.
Viele Vereine stehen deshalb vor der Herausforderung, dass sie keinen Vorstandsnachwuchs mehr haben. Ich glaube, dass gerade die sozialen Medien dazu beitragen können, verkrustete, teils intransparente Strukturen sichtbar zu machen …
Das klassische Vereinsrecht ist ja auch ziemlich starr …
Ja, aber mit sozialen Medien kann man viele Ängste nehmen. Viele wissen ja gar nicht, welche Arbeiten ein Vorstand übernehmen muss. Begleite ich aber beispielsweise den Vereinsvorstand mit einer Handykamera oder durch kurze Blogbeiträge, kann ich die Arbeit veranschaulichen und meine Mitglieder können sich ein Bild machen, ob diese Aufgabe etwas für sie ist.
Die zweite Ebene ist die nach außen: Sowohl der kleine Verein als auch die große NGO kann über Social Media ein riesiges Netzwerk schwacher Beziehungen aufbauen und dieses gezielt für eigene Anliegen aktivieren. Und mit recht wenig Aufwand …
… eine große Reichweite erzielen?
Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten, von sozialen Medien zu profitieren, und das Sichtbarmachen der eigenen Arbeit ist sicherlich die aussichtsreichste.
Soziale Medien bringen auch Transparenz. Oder sie vereinfachen: Wo man früher langwierige Mitgliederbefragungen per Post durchführen musste, setzt man jetzt eine Google-Umfrage auf. Es lassen sich Meinungen und Stimmungen in Organisationen sichtbar machen, was vorher mit viel Aufwand verbunden war. Eine weitere riesige Ressource ist, Materialien digital zur Verfügung zu stellen. Bei beschränkten Budgets ist es sehr nützlich, wenn ich beispielsweise meine Fotos auch anderen Organisationen freigebe und dafür bei ihnen stöbern kann.
Was tragt Ihr mit den Socialbar-Events konkret dazu bei? Sind die Abende themenfokussiert?
Klassischerweise läuft eine Socialbar so ab: Wir starten mit einer Begrüßung sowie einer Vorstellungsrunde, bei der jeder Teilnehmer sich durch drei Schlagworte beschreibt. So erfährt jeder, wer im Raum ist. Es folgen drei kurze Vorträge mit jeweils zehn Minuten Input und zehn Minuten Diskussion. Das Ziel ist, hier nur Gedankenimpulse zu geben. Danach geben wir das Thema in die Hände der Teilnehmer, sie können sich an Thementischen austauschen und vernetzen. Wir begreifen den Teil nach den Vorträgen als mindestens so wichtigen Teil des Abends.
Bei der Themenwahl reagieren wir auf Vorschläge von ReferentInnen und TeilnehmerInnen, häufig begegnen sie uns auch bei unserer eigenen Arbeit. Auch bei der Fokussierung sind wir flexibel, es gibt Abende mit einem Hauptthema genauso wie Abende, die drei ganz unterschiedliche Fragen behandeln.
Was wir also nicht anbieten, ist eine komplette Fortbildung oder einen Workshop an einem Abend.Wir geben Impulse und bringen Menschen zusammen.
Das heißt, es geht Euch darum, Netzwerke und Beziehungen zwischen Menschen aufzubauen, die sich dann gemeinsam engagieren können?
Ich weiß ja, wie ich lerne: Gehe ich auf eine Fortbildung oder eine Konferenz, höre ich die ein oder zwei Workshops, die mich besonders interessieren. Ich bekomme einen Gedankenanstoß und entwickle das Thema dann gemeinsam mit Gleichgesinnten vor Ort weiter. So verstehe ich unsere Socialbar-Abende: Wir geben Inspirationen und dann können alle selbst bestimmen, in welche Richtung sie weiterdenken.
Unsere Botschaft ist: Die Zivilgesellschaft kann vom digitalen Wandel sehr viel lernen und profitieren. Aber es bedarf vielen Gedanken, viel Austausch und viel Zeit, sich mit dieser Kultur auseinanderzusetzen.
Das Feedback nach den Veranstaltungen ist sehr erfreulich, die TeilnehmerInnen kommen zu uns und sagen, sie haben sehr viel gelernt und das Gefühl, ihr Anliegen jetzt noch weiter vorantreiben zu können.
Hast Du ein konkretes Beispiel für ein Projekt, das bei einem Eurer Abende entstanden ist?
Wir führen keine Nachbefragung durch, deshalb können wir dies nicht mit vollständigen Geschichten untermauern. Aber ich weiß beispielsweise von einem Projekt, bei dem sich die Entwickler einer App für geflüchtete Menschen und deren Kooperationspartner bei einer unserer Socialbars in Kiel überhaupt erstmalig persönlich begegnet sind. Ähnliches hören wir in vielen Städten, und es zeigt, dass unser Konzept – einen Raum zur Begegnung zu bieten – funktioniert.
Wir briefen unsere Vortragenden auch immer dahingehend, dass sie nicht ihr Projekt vorstellen, sondern erklären, was sie gelernt haben, während sie digitale Werkzeuge für das Projekt eingesetzt haben.
Als Referent stelle ich also zum Beispiel nicht ein von mir betreutes Kleiderkammer-Projekt vor, sondern ich erkläre, mit welchen Tools ich Helfer und Waren disponiert habe?
Ganz genau – und dabei berichtest du auch von den Herausforderungen, vor denen du standest und was du als Lösung empfehlen kannst.
Ihr seid deutschlandweit unterwegs. Wo kann man Euch überall treffen?
Die Socialbar gibt es momentan in Berlin, Bonn, Bremen, Düsseldorf, Hamburg und Potsdam.
Außerdem gibt es noch die #reCampaign, eine Konferenz, die vor einigen Jahren an die re:publica angedockt war. Sie findet in Berlin statt, als die große Konferenz für die digitale Zivilgesellschaft, auch mit internationalen Sprechern. Die Socialbar ist als Organisator dabei.
Wie finanziert Ihr Euch?
Wir arbeiten alle ehrenamtlich, haben kein festes Budget. Vor einiger Zeit haben wir eine kleine private Spende erhalten, die es uns erlaubt hat, bestimmte Arbeiten, die wir nicht ehrenamtlich lösen können, als Auftrag zu vergeben.
Wie ist Dein persönlicher Eindruck: Arbeiten die Nonprofit-Organisationen in Deutschland schon digital genug – und wie gut sind sie untereinander vernetzt?
Die Vernetzung könnte noch besser werden. Vor einer Weile habe ich zum Beispiel die Socialbar in Potsdam zum Thema „Digitale Tools für Geflüchtete“ veranstaltet. Es waren 60 bis 70 Menschen da, und Potsdam ist ja nicht so groß – man könnte also meinen, die, die sich dafür in einer Stadt dieser Größe interessieren, sollten sich doch untereinander kennen. Im Gegenteil: Viele haben sich an diesem Abend überhaupt erst kennengelernt, und dann festgestellt, dass sie sogar gerade gleichzeitig an der gleichen Projektidee arbeiten. Wobei man natürlich sagen muss, dass an dieser Stelle auch Konkurrenz eine Rolle spielt. Die Organisationen bewerben sich schon mal um die gleichen Fördertöpfe. Zu oft ist der Grund aber schlicht und ergreifend, dass jeder nur seine Ideen verfolgt und niemand über den Tellerrand schaut.
Vernetzung – online, aber ganz besonders auch offline, lokal – ist also nach wie vor ein großes Thema.
Für diese Vernetzung schafft die Socialbar dann den Raum, die Menschen können erstmal schauen, was eigentlich in ihrer Stadt los ist. Für mich klingt das so, als ob man da auch sehr viel aus der IT- und/oder Online-Szene lernen kann: von all den Usergroups, den Twittwochs oder Barcamps, bei denen man zusammenkommen und sich informell austauschen kann.
Genau darauf spiele ich auch mit dem Begriff „digitaler Wandel“ an. Wir teilen eine Geisteshaltung: Offenheit und die Bereitschaft zu teilen.
Um noch mal auf die Digitalisierung zurückzukommen: Da ist auch bei den Organisationen wahnsinnig viel passiert. Die großen stehen vor der Herausforderung, nicht nur die Tools ein-, sondern auch den kulturellen Wandel in ihrer Organisation umzusetzen. Und die kleinen, das weiß ich aus meinen Workshops, haben häufig noch im Bereich Social Media Aufholbedarf. Sie haben einerseits Interesse, andererseits teilweise wenig Kenntnisse darüber. Sie setzen Facebook mit Social Media gleich und zweifeln oft deren Wirkung an.
Sehr viele Leute haben wirklich große Sprünge gemacht, aber es ist eben auch ein langer Prozess.