2003 haben Roland Fesenmayr, Andrea Seeger und die Brüder Eric und Lars Jankowfsky das Unternehmen OXID eSales AG in Freiburg gegründet. Elf Jahre später hat sich das Unternehmen als einer der führenden Anbieter von E-Commerce-Lösungen in Deutschland und dem Ausland etabliert. Wir haben mit Roland Fesenmayr auf elf Jahre OXID zurückgeblickt.
Lieber Herr Fesenmayr, was hat Sie einst dazu bewegt, E-Commerce-Software anzubieten?
Mich hat schon immer gereizt, Neues zu denken und zu erschaffen. Schon damals hat sich gezeigt, dass der Onlinehandel unglaublich disruptives Potenzial hat und die Lebensgewohnheit der Menschen grundlegend verändern wird.
Sicher: Wir haben weder den Webshop, noch komponentenbasierte Software erfunden. Die Kombination von verkaufsoptimiertem Webshop und modularer Plattform aber, die gab es noch nicht. Software, die von Marketing und Vertrieb geliebt wird, weil sie gute Umsätze generiert – und gleichermaßen von Entwicklern, weil sie offen und hoch skalierbar ist.
Mir war sofort klar, welch enormes Potential in dieser Kombination lag und auch weiterhin liegt. Noch heute ist die Einführung von E-Commerce auf Basis von OXID leicht, enorm schnell und, wenn man die Gesamtprojektkosten betrachtet, günstig – und damit für viele Unternehmen und Organisationen interessant.
Anno 2003 war die Welt des E-Commerce noch eine andere als heute. Amazon, eBay & Co waren natürlich schon im großen Stil unterwegs, aber es gab (praktisch) kein Social Web und überhaupt kein Mobile Web. B2C-Unternehmer schworen noch en gros auf den stationären Handel, B2B-Manager auf Messen und Konferenzen. Sie dagegen starteten die OXID eSales AG. Wie kam es dazu?
Nach dem Zusammenbruch der New Economy lag die Branche komplett am Boden. Unsere Überlegung war: Wie sieht der Handel in zehn Jahren wohl aus? Wir waren uns einig, dass sich die Digitalisierung und damit auch der Online-Handel massiv verstärken würden. Und zwar nicht dominiert von einer Handvoll Category-Killern, sondern so, dass jeder der zukünftig Handel betreibt, dies in irgendeiner Form online tun wird.
Daher haben wir ein branchenunabhängiges „Out of the Box“ Konzept entwickelt, das praktisch für jede Art von E-Commerce als technologische Basis dienen kann, sich aber zugleich an alle individuelle Anforderungen anpassen lässt: Individualität als Standard. Das war die Gründungsidee, sie ist es bis heute geblieben.
Mutige Visionen bei einem eher kritischen E-Commerce-Markt im Jahr 2003 …
Vieles wurde in den Jahren 2001-2003 von Wirtschaftspresse, Analysten und Investoren totgesagt. Die Stimmung war insgesamt sehr zurückhaltend, denn nach dem Platzen der Dot.com Blase waren viele IT-Unternehmer skeptisch und leckten ihre Wunden. Zahlreiche Händler und Startups hatten unglaubliche Investitionen getätigt. Aber weder Technologie, noch Internet-Infrastruktur und das Nutzerverhalten der Konsumenten waren bereit.
Wir haben damals in einer Wettbewerbsanalyse über 370 Shopsysteme gezählt. Aber keines, das KMU-tauglich war und sowohl verkäuferisch als auch technisch überzeugte. Für uns von OXID war das der perfekte Zeitpunkt, um voll in den E-Commerce-Markt einzusteigen und antizyklisch mit Innovationen den Markt zu erobern.
Welche Zielgruppen haben Sie damals angesprochen? Haben sich die Zielgruppen über die Jahre verändert?
Die Zielgruppe ist über die Jahre breiter geworden, denn wir haben viele Erfahrungen gemacht, und die Software entlang der Kundenbedürfnisse weiterentwickelt. Heute gibt es die OXID Plattform in unterschiedlichen Editionen von der Enterprise Edition für Konzerne und größere Mittelständlern bis zu Varianten für kleinere Händler. Das schöne ist: Die Zielgruppen profitieren massiv voneinander.
Wie ging’s nach der Gründung weiter, welche Stationen nahm die OXID eSales AG?
Die Geschichte von OXID eSales lässt sich nur schwer auf einzelne Daten reduzieren. Als Meilensteine könnte man vielleicht nennen: Die Markteinführung von OXID eShop im Jahre 2003. Zwei Jahre später gab es dann schon über 1.000 Shop-Installationen – eine beachtliche Geschwindigkeit. Der nächste Schritt war im Jahre 2008 die Entscheidung, eine quelloffene und kostenfreie Community Edition unter der Lizenz GPL v3 bereit zu stellen.
Mit zunehmendem Reifegrad der Plattform und der stetig wachsenden Leistungsfähigkeit des OXID-Partnernetzes haben wir immer größere Projekte gewonnen. 2012 haben wir OXID Professional Services zur Unterstützung von Partnern und Kunden bei Großprojekten eingeführt. Im gleichen Jahr kam mit OXID eShop 5.0 EE auch die Hochlastoption hinzu. Seit 2013 läuft die Entwicklung auch intern im Team ausschließlich über GitHub.
Welche Gründe standen denn hinter dem Entschluss, die Community Edition für Open-Source-Entwickler freizugeben?
Die Entscheidung haben wir nicht über Nacht gefällt. Nach langem Überlegen sind wir damals jedoch zu dem Schluss gekommen, dass eine kommerzielle Open Source-Strategie OXID langfristig vor allem international besser voran bringt. Wir waren und sind einfach fest davon überzeugt, dass das Grundprinzip Trusted Open Source für alle Beteiligten im OXID Ökosystem eine Win-win-Situation darstellt. Letztlich bedeutet Crowdsourcing für OXID-Kunden mehr Innovation bei höherer Qualität.
Was hat sich durch die Open-Source Entwicklung bei OXID geändert?
Unsere Kunden bekommen das Beste aus zwei Welten: Qualität und Innovation. Und das Wichtigste: Enorm viele Menschen haben sich mittlerweile weltweit mit OXID und unserer Technologie beschäftigt. Dank unserer aktiven Community, die im Moment aus über 35.000 Aktiven auf der ganzen Welt besteht, gibt es eine Vielfalt von Lösungen und auch Erweiterungen für nahezu jede Fragestellung im E-Commerce. Jede Erweiterung des Kerns prüfen Entwickler in unserem Haus ausführlich auf Herz und Nieren.
Ziehen wir die Perspektive wieder etwas auf: Wie hat sich die E-Commerce-Welt in den letzten zehn Jahren verändert?
Zehn Jahre sind in der digitalen Welt eine lange Zeit. Viele Innovationen wurden bejubelt und waren schon wieder von der Bildfläche verschwunden, bevor der erste Euro verdient war. E-Commerce ist heute überall: PC, Tablet, Smartphone und am Point of Sale. 2013 ist der Umsatz des E-Commerce im Vergleich zum Vorjahr um über 40 Prozent gestiegen. Es ist damit heute neben dem stationären Geschäft der wichtigste Vertriebskanal für den Handel. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht.
Allerdings lässt sich deutlich beobachten, wie die beiden Kanäle immer weiter miteinander verschwimmen. Stationäre Geschäfte betreiben nebenher noch einen Online-Shop, Internet-Händler eröffnen stationäre Geschäfte. In den meisten Fällen noch nicht sehr erfolgreich, weil ohne klare Strategie oder inkonsequent umgesetzt. Für Kunden ist der Wechsel zwischen verschiedenen Einkaufskanälen innerhalb eines Einkaufsprozesses heute schon selbstverständlich. Nur: Kaum ein Händler spielt bereits die Klaviatur eines vollintegrierten Crosschannel-Ansatzes.
Was bekanntermaßen verschenkter Erfolg ist, denn viele Kunden vertrauen gerade den aus der Offline-Welt bekannten Marken und würden bei diesen auch im Web einkaufen. Händler sollten also an allen Verkaufstheken – real oder virtuell – gleichermaßen vertreten sein?
Auch wenn heute vor allem die kapitalstarken Online Pureplayer die Marktanteile gewinnen: Ich bin überzeugt, dass sich auf mittlere Sicht der kanalübergreifende Ansatz durchsetzt. Der Online-Handel, so groß seine Bedeutung heute auch schon ist, steckt immer noch in den Kinderschuhen. Die kommenden Jahre werden deshalb zwangsläufig von einem kontinuierlichen Wandel und Verbesserungsprozess für jedes einzelne E-Commerce-Angebot geprägt sein. Für die Anbieter ist es entscheidend, extrem schnell und flexibel, aber dennoch hocheffizient und einer klaren Strategie folgend im Markt agieren zu können. Hier wollen wir für unsere Kunden mit OXID der richtige Partner sein.
A propos Kunden: Wie ist deren Feedback nach 11 Jahren?
Gut 11 Jahre nach der Gründung haben wir eine führende Position auf dem deutschen Markt. Mit 35.000 aktiven Beratern, Entwicklern, Vordenkern, Freelancern und technischen Mitarbeitern haben wir die aktivste Community aller Anbieter in der DACH-Region. Unser Partnernetzwerk sucht auch international seinesgleichen. Und das ist auch das Feedback unserer Kunden, wie wir es etwa auf der alljährlich stattfindenden OXID Commons gespiegelt bekommen.
Und wenn Sie selbst zurückblicken, worauf sind Sie besonders stolz?
Die Entscheidung unsere Software unter eine Open Source-Lizenz zu stellen, war sicherlich der wichtigste und tiefgreifendste Schritt seit unserer Gründung. Anstatt viel Geld in Marketing und Vertrieb zu investieren, stecken wir unser Geld lieber in Entwicklung und Forschung. So haben wir es geschafft, das OXID-Ökosystem inklusive Partner und Community als zuverlässigen E-Commerce Lieferanten zu etablieren. Die lebendige Community, die wir in nur wenigen Jahren aufgebaut haben, hat selbst unsere kühnsten Erwartungen übertroffen. Die offene Kommunikation und der Dialog mit dieser Community und unserem starken Partnernetzwerk bereitet uns große Freude; sie haben OXID entscheidend voran gebracht. Gleiches gilt für unsere tollen Mitarbeiter, die teilweise bereits seit Beginn bei OXID an Bord sind und die E-Commerce Welt mit prägen.
Zum Schluss interessiert uns noch Ihre Prognose: Welches sind die wichtigsten Themen im E-Commerce in den nächsten Jahren?
Personalisierung und Kundenzentrierung: Unmittelbar auf die Wünsche der Kunden eingehen, schon bevor sie sie geäußert haben und gleichzeitig ihre Akzeptanz gewinnen. Das ist eine Gratwanderung.
Crosschannel steht noch ganz am Anfang. Mobile ist bereits auf der Überholspur, neue Touchpoints wie Smart TV, Technologien am POS, aber vor allem auch das Internet der Dinge stehen in den Startlöchern. Voraussetzung für die integrierten Customer Journeys und Services, die der Kunde zukünftig als selbstverständlich erachtet, ist eine vollständige Integration aller Backendsysteme und Prozesse. Und das zu annehmbaren Kosten.
Immer mehr Unternehmen verfolgen mehrstufige Vertriebsmodelle. Generell hat der B2B Commerce enormes Potenzial. Und viele der Spielregeln dort sind völlig neu und anders.
Last not least wird E-Commerce immer mehr Spaß machen, inspirieren und unser aller Leben essentiell erleichtern. Was wir heute meist noch unter den schicken Oberflächen sehen, ist am Ende schon sehr klassische Online-Katalog-Kost. Das wird sich ändern. Die Angebote werden noch viel individueller. In Strategie, Prozess und Umsetzung.
Herr Fesenmayr, wir danken für das Gespräch!
Die OXID Commons findet in dieser Woche, am 22. Mai, statt. Auf der Konferenz erstmalig anzusehen: Unser Buch „Online-Shops mit OXID eShop“ in überarbeiteter, 2. Auflage (bereits vorbestellbar, Auslieferung am 30. Mai).
Die Interviewfragen stellte Alexander Plaum, redaktionelle Bearbeitung: Corina Pahrmann.
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