Schon beim letzten Mal haben wir hier statt eines Films eine Serie besprochen (Halt and Catch Fire), und diese neue Tradition setzen wir nun einfach mal fort. Nicht bloß, weil den (häufig fürs Netz produzierten) Fernsehserien eine immer größere Bedeutung als Erzählmedium zukommt, sondern auch, weil es da eine fantastische britische Produktion gibt, die hier noch dringend vorstellt werden muss: Black Mirror.
Im Gegensatz zu vielen aktuellen Serien handelt es sich nicht um eine episch angelegte Geschichte mit fortlaufender Handlung, sondern um eine Kollektion in sich abgeschlossener Kurzfilme, die jedoch alle um das Thema Technologie, Medien und Gesellschaft kreisen – mit teilweise heftig dystopischem Einschlag.
Ein kurzer und selbstverständlich spoilerfreier Abriss der bisherigen Folgen (das Weihnachtsspecial klammere ich aus) verdeutlicht sofort, wohin die Reise geht:
#1: The National Anthem. Im England der Gegenwart entführen bis dato unbekannte Terroristen die äußerst beliebte (und fiktive) Prinzessin Susannah und drohen mit ihrer Ermordung, falls der (ebenfalls fiktive) Premierminister nicht umgehend vor laufenden Kameras Sex mit einem Schwein hat. Und als wäre das noch nicht perfide genug, wird die Erpresserbotschaft zuerst bei YouTube veröffentlicht.
#2: Fifteen Million Merits. In einer „Brave New World“-Variante von Großbritannien irgendwann im 21. Jahrhundert lebt ein großer Teil der Bevölkerung unter medialer Dauerbeschallung in winzigen Wohnungen mit riesigen interactiven Displays und wenigen echten Sozialkontakten. Überleben kann nur, wer entweder als Energieerzeuger täglich in die Pedale tritt (in Hallen mit Batterien von High-Tech-Heimtrainern) oder als Paria-Putze den Müll der anderen entsorgt oder Teil der äußerst fragwürdigen Unterhaltungsindustrie wird. In diesem Kontext verliebt sich ein junger E-Bike-Strampler in eine Kollegin und ermöglicht ihr mit geerbten Merits (=digitales Zahlungsmittel) ein folgenschweres Casting bei einer Talentshow.
#3: The Entire History of You. Großbritannien (beziehungsweise alle entwickelten Ländern) in nicht allzu ferner Zukunft: Smartphone-Kameras sind von Implantaten im Auge abgelöst worden, unzählige Menschen schneiden rund um die Uhr alles mit – und nutzen die Aufzeichnungen permanent zur Bewertung wichtiger Situationen oder einfach nur zu Unterhaltungszwecken. Bei einem jungen Paar führt diese Praxis nach einer Party mit speziellem Besuch zu einer schweren Beziehungskrise.
#4: Be Right Back. England, UK, westliche Welt, irgendwann im 21. Jahrhundert: eine junge Frau verliert ihren Freund durch einen tödlichen Autounfall und ist am Boden zerstört. Auf der Beerdigung erfährt sie von einer neuen App, die mit Hilfe von Big Data und Machine Learning eine virtuelle Version des Verstorbenen generieren kann. Als Datengrundlage dienen digitale Fotos, Videos, Soundfiles und tausende Social-Media-Postings. Turing Test: Kein Problem.
#5: White Bear. Irgendwo im Vereinigten Königreich, möglicherweise in der Gegenwart: Eine Frau wacht angeschlagen und mit Gedächtnisverlust in einem Stuhl vor einem Fernseher auf, der ein seltsames Signal ausstrahlt. Als sie das Haus verlässt, gerät sie in Panik: Keiner ihrer Nachbarn spricht mir ihr, stattdessen wird sie permament mit Smartphones gefilmt – und von bewaffneten Vermummten verfolgt.
#6 The Waldo Moment. England, Gegenwart: Ein gescheiterter Comedian hat Waldo erfunden, einen blauen, animierten CGI-Bären, den er via Performance-Capture-Technik steuert und im Rahmen einer TV-Sendung auf Prominente loslässt. Der respektose, rotzfreche Humor des Bären kommt beim Publikum gut an – vor allem, als er sich einen Torie-Politiker vorknöpft. Kurz darauf schlägt das Management einen Medien-Stunt vor: Waldo soll als Kandidat beim lokalen Wahlkampf mitmischen.
Soweit zum Inhalt der Serie, den man auf den man auf abstrakter Ebene wie folgt zusammenfassen könnte: Black Mirror verhandelt nahezu alle Fragen, die unsere spätkapitalistische Informations- und Digitalgesellschaft in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten geprägt haben. Wie mächtig ist das Internet? Wer kann es wie und mit welchen Konsequenzen missbrauchen? Wie voyeuristisch ist der Durchschnittsbürger? Besitzt er ausreichend Medienkompetenz? Wohin führt die unaufhaltsame Technisierung und Digitalisierung der Welt? Wie wünschenswert ist es, permament digitaler Sender und Empfänger zu sein? Wo verlaufen die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Kommunikation? Wo verlaufen die Grenzen zwischen Mensch und Maschine? Und vor allem: Wer profitiert jeweils von welcher technischen und medialen Entwicklung? Auf wessen Kosten wird Geld verdient, Aufmerksamkeit generiert? Weshalb haben wir nicht besser aufgepasst?
Freilich: Keine der Ideen bei Black Mirror ist 100% neu. Ihre geschickte Anordnung, ihr eleganter Remix hat allerdings Applaus verdient. Für sämtliche Drehbücher zeichnet der englische Satiriker und Moderator Charlie Brooker verantwortlich. Dieser Mann hat als Kulturkritiker dermaßen viel verstanden, dass man ihm kleinere Logikfehler und dramaturgische Schwächen gerne verzeiht. Brookers größtes Kunststück besteht darin, zwar auf Anspruch, Tiefgang und kritische Konfrontation zu setzen, dabei aber niemals moralinsauer zu langweilen.
Seine für die Verpackung zuständigen Kollegen haben ebenfalls einen guten Job gemacht: Die dargestellte Technologie ist (bis auf wenige Ausnahmen) „slick“ und glaubwürdig, die mit ehrer bescheidenem Budget realisierten Settings ziehen den Zuschauer sofort in ihren Bann. Auch bei der Besetzung gibt es nichts zu meckern. Und was besonders erfreulich ist: Die unterschiedliche Regisseure sorgen für unterschiedliche Genre-Feelings. So hat Episode 2 beispielsweise einen klassischen Hard-Sci-Fi-Einschlag, während Episode 3 eher an ein Arthouse-Drama und Episode 5 an einen modernen Horrorfilm erinnert.
Wer nach den sechs regulären Folgen und dem Weihnachtsspecial Appetit auf mehr hat, darf sich freuen: Bereits letztes Jahr hat Netflix angekündigt, die zwischen 2011 und 2014 für Channel 4 produzierte Serie zu kaufen und fortzusetzen (vermutlich 12 Folgen ab 2016/17), wobei die Briten mit dem Deal letztlich alles andere als zufrieden sind. Die amerikanische Übernahme wird allerdings nichts oder nicht viel an der Qualität der Serie ändern: Die Drehbücher kommen weiterhin von Charlie Brooker. Aus „The Entire History of You“ soll außerdem ein Kinofilm für Warner entstehen.
Die Ära der dunklen Spiegel hat gerade erst begonnen.
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