„Was bedeutet Medienerziehung in der Familie für euch?“
Diese Frage stellte kürzlich die Bloggerin @Berlinmittemom – Anna Luz de León – gemeinsam mit Scoyo. Ich kenne Anna seit längerem virtuell und seit der #rp14 auch persönlich und schätze ganz besonders, wie reflektiert sie Erziehungsfragen und ihr eigenes Verhalten dazu angeht. Die Frage, wie medienaffine Eltern – zu denen passionierte Bloggerinnen und Twitterinnen gehören – ihren Kindern den gesunden Umgang mit Tablet, PC und Fernsehen nahebringen, ist dabei natürlich besonders spannend. Auch für mich, und so habe ich den Medienpädagogen Björn Friedrich und Tobias Albers-Heinemann ein paar Fragen zum Thema gestellt – aus der Sicht eines handysüchtigen Muttertiers ;-)
Herr Friedrich, Herr Albers-Heinemann, ich bin ein furchtbar schlechtes Vorbild: Der erste Griff morgens, der letzte Griff abends geht ans Handy, wenn’s beim Essen vibriert, unterbreche ich die so wichtige gemeinsame Familienmahlzeit und auf dem Spielplatz – na, Sie können sich’s denken: lese ich meine Twitter-Timeline. Wie kann ich denn meiner Tochter gesundes Medienverhalten beibringen?
Björn Friedrich: Das klingt tatsächlich nicht gerade nach einem „optimalen Vorbild“, aber natürlich erwische auch ich mich oftmals in Situationen, in denen ich das Handy oder das Tablet besser zur Seite legen sollte. Es ist eben schwierig, sich immer vorbildlich zu verhalten – nicht nur beim Thema Medien. Aber immerhin reflektieren wir unseren Medienkonsum und setzen uns mit der Frage nach einem gesunden Maß auseinander – das ist doch der erste Schritt in die richtige Richtung.
Wenn es uns nun noch gelingt, das Handy öfter zur Seite zu legen, es in gewissen Situationen gar nicht zu benutzen (z.B. beim gemeinsamen Abendessen) und so unseren Kindern vorzuleben, dass es auch handyfreie Zeiten und eine Art „Medien-Knigge“ gibt, dann sind wir auf einem guten Weg. Am wichtigsten ist wohl, dass die anwesenden Personen Vorrang vor den Handy-Gesprächspartnern haben: Die WhatsApp-Antwort kann zur Not ein paar Minuten warten.
Ich müsste mich also auch selbst an diverse Regeln halten. Gibt es dazu denn Richtlinien? Was halten Sie von den berühmt-berüchtigten 30 Minuten Medienkonsum am Tag für kleinere Kinder, wie es u.a. Simone Leithe/KiKo in ihrem Artikel zur Blogparade handhabt?
Tobias Albers-Heinemann: Grundsätzlich ist es gut, eine klare Absprache in Bezug auf die Nutzungsdauer zu treffen und 30, bzw. 60 Minuten sind ein guter Richtwert. Allerdings müssen wir uns auch klar machen, dass es keine einheitliche Regelung geben kann, da jedes Kind und jede Familie unterschiedlich ist. Es kommt auf viele verschiedene Faktoren an und ich denke, wir können als Eltern auch etwas Flexibilität zeigen. Wenn das Wetter schlecht ist, alle Freunde unterwegs sind und ein neues Spiel ausprobiert werden kann, spricht nichts dagegen, den Richtwert zu überschreiten. Dahingegen vergessen viele Kinder auch mal beim Spiel im Sonnenschein ihr mediales Anrecht.
Kürzlich war ich mit Freunden und deren Kindern übers Wochenende auf dem Land. Wir hatten – zu unserem Schreck – absolut gar kein Netz, noch nicht einmal Anrufe/SMS funktionierten. Es waren aber wir Erwachsene, die nachts noch mal schnell auf den Berg hoch liefen oder vor dem Fenster akrobatische Übungen vollzogen, um einen winzigen Empfangsbalken kurz aufleuchten zu sehen. Die Kids dagegen fragten nicht weiter und spielten stattdessen, ja, Mensch ärgere dich nicht. Meine Erkenntnis: Für Digital Natives ist das Netz nur eines von vielen Beschäftigungsmöglichkeiten. Macht ein generelles Verbot es dann nicht erst spannend?
Björn Friedrich: Ein generelles Verbot ist immer die schlechteste aller Möglichkeiten. Wenn jemand etwas unbedingt möchte, dann lässt sich das nur schwer verbieten, denn früher oder später wird sich ein Weg finden, das Verbot zu umgehen. Gerade im Medienbereich können die Eltern kaum kontrollieren, was ihre Sprösslinge tun, da nur ein Bruchteil des Medienkonsums zuhause geschieht. Mein Lieblingsbeispiel ist ein überaus technikaffiner Vater, der bei einem Elternabend erzählte, dass er seinem Sohn Facebook verboten hatte – und dann herausfand, dass der Filius es seit zwei Jahren heimlich nutzt.
Die heutigen Jugendlichen bedienen das mediale Ensemble ganz selbstverständlich, und zugleich ist es nur ein Teil ihrer Lebenswelt, zu dem daneben auch Sport, Musik, Treffen mit Freunden und Vieles mehr zählen.
Häufig wird ja geraten, die TV-Sendungen mit den Kindern gemeinsam anzusehen. Ganz ehrlich: Das ist so ziemlich der unglaubwürdigste Vorschlag, den ich zu dem Thema höre. Ich würde keine 5 Minuten Conni-DVD ertragen und nutze die 20 Minuten DVD-Pause in der Regel für mich, den Job, den Haushalt … Gibt es denn irgendwelche Siegel oder Bewertungen von Kinder-Filmen, -Hörspielen, -Apps, auf die ich mich verlassen könnte?
Tobias Albers-Heinemann: Natürlich gibt es Siegel wie die der FSK (Film) und der USK (Computerspiele), an die wir uns in unserer Auswahl orientieren können. Jedoch muss uns klar sein, dass eine Alterseinstufung keine pauschale Eignung für jedes Kind bedeutet. Selbst Inhalte, die ab 0 Jahren freigegeben sind, können eine verstörende, beängstigende oder zumindest beeinflussende Wirkung auf Kinder haben. Kriegsschauplätze in den Nachrichten, Streitereien und Beleidigungen im Nachmittagsprogramm oder einfach nur Lego-Werbefilme über Star Wars, Ninjas und Superhelden. Dazu kommt, was wir als Eltern für gut befinden und was nicht. Ob sich ein Kind gedanklich auf einen rosafarbenden Lilifee-Sternchen-Einhorn Himmel einlässt oder doch auf sprechende Autos, die sich wie Menschen und Tiere verhalten, bleibt bei uns, daher ist es schwer, eine allgemeingültige Empfehlungsdatenbank zu finden.
Es spricht aber auch nichts dagegen, Kinder ab einem gewissen Alter auch mal alleine fernsehen zu lassen, dennoch tragen wir als Eltern die Verantwortung, was sie sehen und was nicht. Oftmals reicht es vollkommen aus, sich eine Folge oder ein Format im Vorfeld alleine anzusehen, um die Eignung für das eigene Kind festzustellen. Und wenn eine komplette Abneigung gegen ein Format besteht, so wie die in der Frage erwähnte Conni-DVD, können Sie sich ja etwas anderes aussuchen.
Björn Friedrich: Zudem gibt es zahlreiche Bewertungsportale und Gütesiegel, z.B. die Datenbank des Deutschen Jugendinstituts für Apps, die Giga-Maus für Spiel- und Lernprogramme oder den Pädi – Pädagogischen Interaktiv-Preis für empfehlenswerte Apps, Games und Websites.
Der häusliche Medienkonsum ist das eine – aber irgendwann kommen die Kids und möchten ihr eigenes Smartphone. Wie sind Ihre Erfahrungen: Ab wann haben Kinder inzwischen ihr eigenes Handy – und ist dies auch der richtige Zeitpunkt?
Björn Friedrich: Derzeit bekommen Kinder meist zwischen dem 9. und 12. Lebensjahr ein eigenes Smartphone, das zeigen unsere Erfahrungen und auch repräsentative Studien. Ob das der „richtige“ Zeitpunkt ist, lässt sich pauschal natürlich nicht beantworten, denn das ist von zu vielen individuellen Faktoren abhängig und somit eine Entscheidung, die alleine die Eltern treffen können. Fest steht jedoch, dass der soziale Druck ab einem gewissen Alter wächst: Wenn gefühlt „alle“ in der Klasse und der Clique ein eigenes Smartphone haben, dann ist es verständlich, wenn auch das eigene Kind eines haben möchte. Dann obliegt es der pädagogischen Einschätzung und dem Verhandlungsgeschick der Eltern, um auszutarieren, ob der richtige Zeitpunkt für diese Anschaffung gekommen ist.
Wie gehen Schulen dann damit um – Handys verboten, aber Tablets werden zu Unterrichtszwecken eingesetzt, wie wir erst vor ein paar Tagen hier lesen konnten?
Björn Friedrich: Derzeit ist das in deutschen Schulen ja noch die Ausnahme, dass Tablets im Unterricht eingesetzt werden – leider, denn hier liegt einiges Potential, das unsere wenig innovationsfreudige Bildungspolitik ungenutzt lässt. Aber das ist ein anderes Thema.
Das Handyverbot an Schulen ist hingegen fast flächendeckend verbreitet, hier gibt es allerdings auch deutliche Unterschiede in der individuellen Handhabung: Manche Schulen sammeln die Handys am Tagesbeginn in einem Körbchen, das auf dem Pult stehen, andere verbieten die Nutzung während des Unterrichts und nehmen das Gerät bei Verstoß weg, sofern die Lehrkräfte etwas mitbekommen. Und natürlich regt all das die Experimentierfreudigkeit der Jugendlichen an, so werden in die erwähnten Körbchen oft alte „Zweithandys“ gelegt, während das neue Smartphone heimlich genutzt wird.
Einerseits ist es verständlich, dass die Schulen einen handyfreien Unterricht gestalten möchten, denn dieses Gerät bietet einfach zu viele Ablenkungsmöglichkeiten. Andererseits wird nun schon gefragt, was eigentlich passiert, wenn sich nun Smart-Watches und Datenbrillen verbreiten: folgt dann an Schulen bald ein Uhren- und Brillen-Verbot?
In meinem Bekanntenkreis gibt es Jugendliche, die vor ihrem 10. Geburtstag ihre 30 Minuten Medienkonsum pro Tag hatten. Dann gab’s zur Kommunion das ersehnte Smartphone und plötzlich lag ihnen YouTube zu Füßen. Inzwischen himmeln sie ihre YouTube-Stars an und twittern, instagrammen, whatsappen… und dass als mitten in der Pubertät steckende natürlich weitestgehend auf eigene Faust und ohne dass die Eltern so richtig wissen, was da passiert. Wie sollte man sich als Elternteil dann verhalten? Augen zu und durch? Auf die doch gute Erziehung hoffen? Oder überwachen?
Tobias Albers-Heinemann: Mit der Überwachung verhält es sich wie mit den Verboten. Sie ist für den Ottonormalverbraucher einfach nicht umsetzbar, vor allem bei mobilen Endgeräten. Auf der anderen Seiten wollen wir ja ein offenes und vertrauensvolles Miteinander mit unseren Kindern, welches wir ja brechen, wenn wir heimlich auf NSA Methoden zurückgreifen.
Eltern muss einfach klar sein, dass Kindern und Jugendlichen, sobald sie ein Smartphone mit einem Internetzugang haben, die komplette digitale Welt zu Füßen liegt. Große Teile der Kommunikation und des Alltages verlagern sich in digitale Bereiche – nicht nur bei Jugendlichen, auch bei uns Erwachsenen. Da müssen wir als Eltern durch, keine Frage. Aber keinesfalls mit geschlossen Augen – vielmehr interessiert und offen für Themen, die wir vielleicht nicht verstehen.
Angenommen, ich habe alle Hürden um TV-, Tablet- und Smartphone-Gebrauch genommen und meine Kids halbwegs unbeschadet durch die bunte Medienwelt navigiert. Jetzt kommen sie aber plötzlich mit der Aussage, selbst aktiv werden zu wollen. Der YouTube-Kanal ist bereits aktiviert, das erste Video abgedreht… was nun? Können Eltern das unterbinden? Sollten sie dies – oder vielleicht besser unterstützen? Welche Regelungen sollte man beachten?
Björn Friedrich: Eigentlich ist das doch fantastisch, wenn man Kinder hat, die so aktiv und kreativ sind, dass sie eigene Videos produzieren und diese online veröffentlichen. Die Eltern sollten also keinesfalls versuchen, das zu verbieten (was sowieso nur schwer möglich ist), sondern sollten dieses Ansinnen ruhig fördern – vorausgesetzt natürlich, dass die Kids weder sich noch andere bloßstellen. Das „Recht am eigenen Bild“ ist in diesem Zusammenhang unbedingt zu respektieren: In Online-Videos und -Fotos darf niemand zu sehen sein, wenn er oder sie das nicht möchte. Sollten in einem YouTube-Clip also heimlich gefilmte Freunde, Bekannte, Lehrer o.ä. auftauchen, dann ist dieser Clip schleunigst zu löschen, sonst kann es Probleme geben. Auch das Urheberrecht muss beachtet werden, gerade hinsichtlich musikalischer Ausschmückungen: Wenn ich den neuen Rihanna-Song als Hintergrundmusik für mein Katzenvideo verwende, kann das teuer werden. Dafür gibt es Musik unter freien Lizenzen, diese findet sich z.B. hier.
Kommen wir zu Ihrem Buch: Geben Sie darin konkrete Ratschläge à la Smartphone mit 10, Facebook mit 13, Whatsapp mit 15?
Björn Friedrich: Nein, die geben wir bewusst nicht, denn damit würden wir den Kindern und Jugendlichen keinen Gefallen tun. Die Entwicklungsstände sind gerade in diesem Alter wahnsinnig unterschiedlich, und die Interessen der Kids ebenso. Wichtig ist es, den Kindern eine Erklärung dafür zu liefern, warum man z.B. das eigene Smartphone für keine gute Idee hält. Ein schlichtes „Nein“ ist oft schwer zu akzeptieren, aber wenn man die Bedenken und Begründung erläutert, wird es vielleicht einfacher nachvollziehbar.
Am besten ist es natürlich, derartige Regelungen übereinstimmend auszuhandeln, sofern das umsetzbar ist. Und in diesem Zusammenhang ist es natürlich auch wichtig, die AGBs der Anbieter zu kennen: So ist beispielsweise Facebook ab 13 Jahren erlaubt, WhatsApp hingegen erst ab 16! Diese Altersgrenze wird jedoch an keiner Stelle abgefragt, insofern ist sie wirklich irrwitzig und daher auch kaum bekannt. Dennoch sollte man die Kinder ruhig darauf hinweisen, dass der Anbieter diese Altersgrenze vorgibt – wenn auch nur aus juristischen und nicht aus pädagogischen Gründen.
Sie richten sich vornehmlich an Eltern – können auch Erzieher und Lehrer etwas mit dem Buch anfangen?
Tobias Albers-Heinemann: Natürlich können auch Erzieher und Lehrer etwas damit anfangen, weil Medien auch in der Schule und in Kindertagesstätten Thema sind. Es geht doch darum, Medien und Nutzungsmotive zu verstehen, nur so können wir konstruktiv mit diesem Thema umgehen. Durch die Entwicklung der Medien befinden wir uns in einem Umbruch – einem Umbruch in Bezug auf Gesellschaft, Kultur und Kommunikation.
Wir haben noch eine Generation, die schwarz-weiß Fernsehen und Wählscheibentelefone kennt, die eine digitale Kommunikation über Fax und E-Mail erst erlernen musste. Wir haben eine Generation, für die Skype, Farbfernsehen und Flatrates zum Alltag gehören und wir haben eine Generation, für die YouTube das neue Fernsehen ist und über mobile Messenger kommuniziert. Diese Unterschiede haben ein enormes Konfliktpotential, welches nur durch Bildung, Dialog und Aufklärung beseitigt werden kann und keines Falls durch Restriktionen und Verbote. Ein erster Schritt zur intergenerationellen Verständigung kann beispielsweise dieses Buch sein.
Herr Friedrich, Herr Albers-Heinemann: Ich danke Ihnen beiden sehr für das Interview. Und danke ebenfalls an @Berlinmittemom und @Scoyo für die erhellende Blogparade.
Alle weiteren Beiträge findet Ihr als Kommentar in Annas Blog. Wenn Ihr selbst teilnehmen wollt, könnt Ihr noch bis zum 2. November unter #familiedigital Eure Meinung loswerden. Na, und außerdem freuen auch wir uns über Erfahrungen und Kommentare, wie das bei Euch läuft (oder mal laufen soll).
Über die Interviewpartner:
Tobias Albers-Heinemann ist Dipl. Sozialarbeiter & Dipl. Medienberater und arbeitet als Referent für Medienbildung. Seit 2007 bloggt er im Medienpädagogik-Praxis Blog, eines der gefragtesten Blog-Angebote im deutschsprachigen Raum zum Thema Medienpädagogik. 2011 wurde es mit dem Dieter Baacke Preis ausgezeichnet.
Björn Friedrich ist Medienpädagoge und arbeitet bei SIN – Studio im Netz in München. Die aktive Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen zählt ebenso zu seinem Betätigungsfeld wie Informations- und Fortbildungsveranstaltungen für Eltern, Lehrer, Studierende und pädagogisch Verantwortliche.
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