Der Essener RWE-Konzern nutzt Twitter nicht nur mit seinem fast schon obligatorischen Unternehmensaccount @rwe_ag, sondern stellt gleich alle 70.000 Mitarbeiter in den Blickpunkt. Dazu gründete man den Rotation-Curation-Account @we_are_rwe: Einen Twitter-Kanal, der jede Woche von einem anderen Mitarbeiter gepflegt wird. Stefan Balázs, der Manager für Interne und Online-Kommunikation beim RWE-Konzern, sprach mit den Autoren über die Hintergründe zu @we_are_rwe.
– Ein Auszug aus: Social Media Marketing – Strategien für Facebook, Twitter & Co –
Herr Balázs, die meisten PR-Chefs wollen die Botschaften eines Unternehmens nach außen und innen kontrollieren. Was brachte Sie auf den Gedanken, Ihren Kollegen stattdessen einen »offenen Kanal« zu übergeben?
Über unser Social-Media-Management-Tool behalten wir immer eine Hand virtuell an diesem Kanal. Auch die Planung und Reihenfolge der Vergabe der »Curatoren« obliegt weiterhin der Konzernkommunikation. In ihrer jeweiligen Woche haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aber ein Höchstmaß an inhaltlicher Gestaltungsfreiheit, weil wir glauben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am besten wissen, wie es im Betrieb so läuft, und dadurch einen offenen, menschlichen und authentischen Blick von außen auf das Unternehmen ermöglichen.
Welche Ziele verfolgt RWE primär mit dem Kanal?
Wir möchten nicht als intransparenter Energiekonzern wahrgenommen werden, sondern der Öffentlichkeit zeigen, dass bei uns knapp 66000 Kolleginnen und Kollegen an Fragen der Energiewende arbeiten – ganz normale Menschen wie du und ich. Ein Ziel hat sich erst im Projektverlauf ergeben: Mit @we_are_rwe platzieren wir die Diskussion über Sinn und Zweck von Social Media mitten im Unternehmen. Seit wir den Kanal gestartet haben, hat das Thema digitaler Dialog auch intern eine höhere Sichtbarkeit und Bedeutung bekommen.
Wie wurde die Idee sowohl im Management als auch bei allen Angestellten aufgenommen? Wie muss ein Unternehmen bzw. auch eine PR-Abteilung aufgestellt sein, um ein RoCur-Projekt zu stemmen?
Wir haben uns von den Erfahrungen bei Vodafone Deutschland berichten lassen. Erst waren alle spontan begeistert, dann kamen die ersten Fragen auf. Wir haben die Gunst der Stunde genutzt und sind direkt gestartet – mit der Gewissheit, die offenen Fragen auf dem Weg klären zu können.
Der Wunsch nach Regeln für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kam in erster Linie aus den Betriebsräten. Man wollte ausschließen, dass öffentliche Äußerungen von Mitarbeitern Grundlage für Abmahnungen werden könnten. So haben wir gemeinsam »Nutzungsbedingungen« erarbeitet, bei deren Einhaltung die Unternehmensseite eine »Folgenlosigkeit« garantiert. Da wir im Team der Onlinekommunikation nachhaltig Erfahrung in Twitter gesammelt haben, war uns klar, dass wir die Mechanik des Kanals gut beherrschen könnten. Und das Schöne an Twitter ist, dass man die Benutzung auch Twitter-Novizen in zehn Minuten erklärt hat.
Definition Rotation-Curation-Projekte gibt es viele: Üblicherweise nutzen Städte, Regionen und Länder dieses Modell, um einen persönlichen Einblick in das Leben einzelner Twitterer ihres Umkreises zu geben. Die Initiatoren von Rotation-Curation-Accounts sind Tourismusbüros, Stadtmarketing-Ämter oder auch Privatpersonen. In der Regel wird wöchentlich zu einem festen Termin getauscht. Folgenswerte RoCur-Accounts sind beispielsweise @I_amGermany (liegt leider gerade brach), @ichbinBW (für Baden-Württemberg) oder auch @wirlebenAC (für Aachen). International spannend sind z.B. @WeAreAustralia und @I_am_Europe.
Wie viele Bewerber gab es bereits, und aus welchen Abteilungen kamen diese? Hatten sie schon Twitter-Erfahrung?
Die Bewerbungen kommen in Wellen. Wenn wir das Thema prominenter im Intranet oder der Mitarbeiterzeitung platzieren, kommt immer ein Schwung von Bewerbungen rein. Es gab aber auch Phasen, in denen wir aktiv auf mögliche Kandidatinnen und Kandidaten zugehen mussten, damit die Kette nicht abreißt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus allen RWE Gesellschaften und allen Abteilungen mit unterschiedlichsten Twitter- oder Social-Media-Erfahrungen. Anfänglich waren mehr Kommunikations- und Marketingkolleginnen und -kollegen dabei, aber inzwischen mischt es recht bunt.
Wie briefen Sie die Twitter-Paten? Gibt es Vorgaben oder Empfehlungen bezüglich des Inhaltes oder der Sprache der Tweets?
Die Sprache des Kanals ist Englisch, da wir von vornherein international gestartet sind. Tonalität und Inhalt bestimmen die Twitterer. Alle nicht leitenden Angestellten aus Deutschland müssen die »Nutzungsbedingungen« akzeptieren. Diese sind aber eher eine Art Leitlinie oder Hilfestellung, in der ganz banale Dinge wie der Verweis auf Betriebsgeheimnisse festgehalten sind, was aber auch bereits arbeitsvertraglich geregelt ist. Wir erklären aber auch den Umgang mit Urheberrechten und bzgl. der Verwendung von Bildern.
Wie begleiten Sie die Twitterer während der Woche? Gibt es während der Laufzeit feste Termine für Feedbackgespräche, eine Telefonnummer für den Notfall oder Ähnliches?
Wir haben das organisatorisch nicht überformen wollen. Wer eine Einweisung oder Feedback wünscht, spricht uns an. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben vor dem Start persönlichen Kontakt mit jemanden aus dem Team der Onlinekommunikation – meistens mit mir. Da wird recht schnell klar, wie viel Begleitung gewünscht wird oder notwendig ist. Meine Kontaktdaten dienen auch für »Notfälle«.
@We_are_RWE gibt es jetzt seit April 2013 – das macht nach unserer Rechnung bereits knapp 60 Twitter-Paten. Wie schaffen Sie es, sowohl Mitarbeiter als auch Follower für den Twitter-Kanal zu begeistern? Ist das Projekt zeitlich begrenzt?
Wir verschaffen kleineren Projekten und Initiativen durch die Teilnahme intern sowie extern für eine Woche eine höhere Sichtbarkeit. Deswegen schauen wir manchmal auch in den Terminkalender und sprechen Abteilungen dann konkret an: »He, ihr seid doch da auf einer Messe – wollt ihr in dieser Woche nicht auch twittern?« Dann ist die Begeisterung recht schnell da. Wir sind zeitlich unbegrenzt gestartet – aber zwei Jahre würde ich gerne mindestens durchhalten wollen.
Zum Abschluss: Welchen Unternehmen würden Sie einen RoCur-Account ans Herz legen?
Ich denke, jedes Unternehmen oder jede Organisation muss für ein solches Projekt seinen eigenen Dreh finden. Pauschale Gebrauchsanweisungen und Empfehlungen kann es nicht geben. Selbst kleine Organisationen können Rotationsprojekte machen, in dem man z.B. seine Kunden als Fans und Markenbotschafter mit einbezieht. Oder Schachfreunde aus aller Welt reichen sich einen Twitter-Account wöchentlich weiter – es braucht in erster Linie Personen, die diese Idee begeistert treiben wollen. Der Rest findet sich.
Herr Balázs, wir danken Ihnen sehr für den Einblick.
Das Interview ist ein Auszug aus dem Buch
Social Media Marketing – Strategien für Facebook, Twitter & Co
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