Das legendäre Experiment mit den Halbkugeln ist schon eine ganze Weile her, und in den letzten Jahren gehörte die Hauptstadt Sachsen-Anhalts nicht unbedingt zu den ersten Adressen, wenn es um technisch-wissenschaftliche Innovation und coole Szeneaktivität ging. Allerdings: Es gibt Anzeichen für positiven Wandel. So findet dieses Jahr z.B. schon zum zweiten Mal die hochinteressante Cross-Media-Konferenz Think Cross statt, und seit Mitte 2012 hat die Region auch einen waschechten Hackerspace, das Netz39. Ich habe mich mit Alex Dahl unterhalten, Mitbetreiber und Magdeburg-Fan.
Ihr seid ein ziemlich frischer und Magdeburgs erster Hackerspace, den Trägerverein gibt’s noch keine zwei Jahre. Was hat euch dazu bewogen, so ein Projekt in Angriff zu nehmen? Und wer hat da so mitgemacht?
Die Idee hatte ich bereits 2009, als ich mehrere Monate zum Arbeiten in Norwegen war und viel Zeit hatte, um Podcasts zu hören. Folge #134 von Chaosradio Express war der Anstoß dazu, aktiv zu werden. Das Konzept, Infrastruktur und Werkzeuge zu teilen und gemeinsam Projekte durchzuziehen, statt für sich alleine im stillen Kämmerlein zu hocken und dabei ständig über Kabel und Lötkolben zu stolpern, hat mich fasziniert. Ich habe dann angefangen im Freundeskreis, beim Sport oder auf Partys Leute für das Projekt zu begeistern. Bis zur Hackerspace-Gründung im Mai 2012 hat es dann aber noch einige Zeit gedauert.
Der Name „Netz 39“ steht in keinem Bezug zu 23, 42 & Co., sondern hat einfach nur mit den Postleitzahlen der Region zu tun, oder?
Ja, der Postleitzahlenbereich in und um Magdeburg und die Telefonvorwahlen hier beginnen mit der 39. Außerdem ist es die mathematisch gesehen kleinste uninteressante Zahl, sagte das Internet damals. ;-) Das Netz davor steht natürlich für die omnipräsenten elektronischen Netze, aber auch für die Vernetzung der Leute untereinander, die sich für solche Themen interessieren.
Laut Satzung wollt ihr den technisch-gesellschaftlich-kulturellen Austausch in eurer Region fördern und für interessante Projekte in diesem Bereich eine Infrastruktur zu schaffen. Welches Publikum schaut bei euch vorbei? Welche Aktionen und Veranstaltungen der letzten Monate waren besonders interessant bzw. erfolgreich?
Etwa zwei Drittel der Mitglieder bei uns sind Studenten und Studentinnen, und viele davon kommen natürlich aus den Ingenieurs- oder Naturwissenschaften oder der Informatik. Aber längst nicht alle: Es sind auch Politikwissenschaftler, Mediziner oder gar Pychologen dabei. Bei unseren öffentlichen Veranstaltungen haben wir ein sehr gemischtes Publikum, auch aus der Kulturszene der Stadt, was mich persönlich besonders freut.
Die definitiv erfolgreichste Veranstaltung war der Vortrag von Uwe Lübbermann von Premium Cola (s. dazu auch Hackerbrause), da war es hier richtig voll. Die monatliche Vortragsreihe läuft allgemein ganz gut. Darüber hinaus haben wir letztes Jahr an Festivals (OHM2013, Bucktopia, 30C3) teilgenommen und ein Pappbootrennen gewonnen. Sehr gut kamen auch die WWW an, die Weihnachts-Workshop-Wochen. Da konnte man in der Adventszeit z.B. Schwippbögen selbst an der CNC-Fräse herstellen.
Ich hoffe, du nimmst mir die folgende Frage nicht übel: Magdeburg ist (noch) keine wirklich attraktive Metropole – und wichtige Szene- bzw. IT-Städte wie Hannover, Hamburg, Berlin oder Leipzig sind nicht weit. Habt ihr langfristig Angst vor einem Braindrain? Mit welchen Argumenten würdest du für eine Techie-Existenz in Sachsen-Anhalt werben?
Langfristig rechnen wir natürlich damit, dass gerade von den Leuten, die jetzt noch studieren, einige die Stadt verlassen werden. Aber wir haben keine Angst davor, dass die Stadt oder der Space ausblutet. Groß genug ist Magdeburg, und die Nähe zu den genannten Städen ist eher als Vorteil zu sehen. Man hier günstig leben – und dann notfalls pendeln. Unser „harter Kern“ arbeitet aber sogar schon fest hier in der Stadt und trägt dazu bei, Magdeburg als Lebensmittelpunkt attraktiver zu machen. Ansonsten laden wir Leute mit Vorurteilen immer gern ein, damit sie sich selbst überzeugen können.
Dann schaue ich bei Gelegenheit gerne mal vorbei. Wobei ich gar keine Vorurteile habe, sondern nur eine gängige Meinung wiedergeben wollte. ;-) Anderes Thema: Mit welchen Technologien bzw. Gadgets spielst du momentan am liebsten und warum?
Ich beschäftige mich seit der OHM2013 intensiv mit AVR-Mikrocontrollern, um daraus eine Workshop-Serie hier im Space zu machen. Da kann man dann nicht nur seine eigene Platine mit ATtiny85 zusammenlöten sondern auch lernen, wie man die Controller in C „so richtig“ programmiert, ohne den bunten Schnickschnack drumrum, den beispielsweise Arduino bietet. Das soll übrigens Arduino nicht abwerten, ich habe damit letzte Woche erst in kürzester Zeit auf einfachste Art und Weise einen Temperatursensor mit einer Siebensegmentanzeige gekoppelt und viel Spaß gehabt. Nebenbei kümmere ich mich um den Router hier vor Ort, der mit fli4l läuft. In dem Projekt hänge ich seit 10 Jahren mit drin und beteilige mich ein wenig an der Weiterentwicklung.
Vom „direkten“ Arbeiten mit den AVR-Chips habe ich schon gehört. Die Kollegen von Make haben dazu neulich ein Buch gemacht. Als Geisteswissenschaftler traue ich mich an sowas aber nicht ran, für mich ist der Schwierigkeitsgrad von Arduino gerade richtig. ;-) Kommen wir mal vom Technischen zum Ökonomischen: Wie finanziert ihr euch? Wie kann man das Netz39 bei seiner Arbeit unterstützen?“
Wir finanzieren uns primär durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Außerdem fördern uns zwei lokale Firmen (marmalade & UCD+) jeden Monat mit einem kleinen Betrag. Und beim Verkauf von Mate fällt auch noch was ab. Insofern sind wir da ein ganz normaler Hackerspace. Unterstützen kann man uns als Fördermitglied oder mit Geld- und Sachspenden, zu letzterem gibt es eine Wunschliste auf unserer Webseite.
Dann mache ich jetzt eine Notiz, bei Gelegenheit noch mal passende Literatur rüberzuschicken. Letzte Frage: Können Hackerspaces die Welt retten?
Sie müssen!
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