Ich bin eines von rund 750 Millionen Facebook-Mitgliedern. Seit dem Tag meiner Registrierung habe ich es ständig nebenher eingeschaltet, von früh morgens bis spät nachts. Ich kann also auch sagen: Ich bin Facebook-Fan.
Und dennoch: Wie viele andere spiele ich immer wieder mit dem Gedanken, die Schotten dicht zu machen. Mein Profil zu löschen und die gewonnene Zeit anders zu nutzen. Natürlich liegen meine Zweifel in den immer wieder diskutierten Fragen des Datenschutzes begründet. (Die sind mit G+ übrigens auch nicht gerade geringer geworden …)
Aber vor allem ärgert mich, dass meine Pinnwand zwar voll, aber eben auch „voll langweilig“ ist. Denn ich lese nicht nur die Einträge meiner Freunde, ich lese auch jede Menge Werbung, Werbung, Werbung – in den Statusmeldungen von Unternehmen, Institutionen und Gruppen. Einige davon habe ich per „Gefällt mir!“ abonniert, weil sie mir wirklich gefallen, andere, weil ich sie aus beruflichen Gründen verfolge. Etwa, weil sie Vorbilder in Sachen Social Media Marketing sind.
So wie Starbucks: Caramel und andere Dinge haben für mich nichts in Kaffee verloren, aber natürlich beobachte ich Starbucks‘ Auftreten im Social Web. Es nutzt Facebook einfach beispielhaft. Man kann viel von Starbucks lernen. Das Problem: Viele Unternehmen verlassen sich auf die Erfolgsrezepte der „Großen“ und kupfern ab. Heraus kommt ein langweiliges Einerlei, das so austauschbar wird, wie es das jeweilige Unternehmen eigentlich nicht sein will.
Zur Eintönigkeit kommt die Masse an Statusmeldungen: Wenn Social Media-Consultants heutzutage raten, als Unternehmen müsse man mindestens zwei bis drei Mal täglich „etwas posten“, dann höre ich dies auch als Facebook-User. Und möchte rufen: „Nein! Bloß nicht!“ Nach wie vor vertrete ich die Ansicht, dass man sich auch in den Social Media nur zu Wort melden sollte, wenn man wirklich etwas zu sagen hat. Ich empfinde es als schlechtes Benehmen, wenn mir Unternehmen mit Banalitäten die Pinnwand zuballern. Und drücke regelmäßig „Gefällt mir nicht mehr“.
„Die Zeit“ schrieb kürzlich zu Facebook: „Das Problem ist, dass die WG jetzt zu voll ist.“(Leider ist der Artikel nicht online zugänglich, aber er steht auf der Titelseite der Ausgabe 25/2011.) Die Autorin Khuê Pham stellte fest, Facebook sei „zugerümpelt mit Kontakten. Mit Kollegen, Eltern, Geschäftspartnern, Politikern, Musikern und Medien.“
Und ich gebe ihr gern Recht: Aktuell gefallen mir 187 Facebook-Seiten. Das ist sicherlich nur guter Durchschnitt. Wenn aber all diese 187 Seiten dreimal täglich etwas von sich geben würden, wären allein dies 561 Statusmeldungen pro Tag. Ziemlich sicher zumeist auf die üblichen Geschäftszeiten – also zwischen 9 und 18 Uhr – geknubbelt. 561 Statusmeldungen, die mir den Blick auf meine Freunde verschleiern. Die mich mit Gewinnspielen und plumper Produktwerbung langweilen.
Und nicht nur bei mir verliert Facebook seinen Reiz. Seit einiger Zeit halten sich Gerüchte, dass die Zahl der aktiven Nutzer zurückgeht oder nicht mehr so stark wächst – genau kann dies derzeit wohl keiner außer Facebook selbst beziffern (Zur Diskussion siehe insidefacebook.com). Dennoch: Ich vermisse die Anfangseuphorie, bei mir und bei meinen Kontakten. Ich vermisse die Frische, mit der Unternehmen experimentiert und mit der einzelne Angestellte gesprochen statt kommuniziert haben. Die oft geforderte Professionalisierung des Social Media Marketings brachte eben auch: Standardisierung.
Denn natürlich darf man von erfolgreichen Social Media-Strategien lernen. Natürlich darf und sollte man schauen, wie andere Unternehmen auf Facebook agieren. Best Practices helfen uns, eigene Strategien zu finden, Ideen einzuordnen und zu bewerten. Aber was häufig vergessen wird: Erfolgreich ist nur der, der begeistert ist! Best Practices sind ein Werkzeug – aber keine Pauschvorlage.
„Fans erlauben dem Unternehmen, in einem Raum mit ihnen zu kommunizieren, in dem sie sonst hauptsächlich mit Freunden interagieren“, sagten Allison und Dan Zarrella in diesem Interview im oreillyblog. Zwei Dinge sind zentral: Es geht um Freunde, und es geht um Interaktion. Gerade letzteres wird immer häufiger vernachlässigt. Die „Push“-Mentalität des konventionellen Marketings zerstört den Sinn hinter Facebook und anderen Social Media. Es geht eben nicht darum, die Schlagzeilen der Website 1 zu 1 per Twitter und Facebook hinauszublasen. Es geht darum, mit seinen Freunden zu sprechen – die ein Geschenk sind: „Jede Person“, erklären Allison und Dan Zarrella, „die ihre Sympathie für das Unternehmen so deutlich zum Ausdruck bringt, ist wertvoll.“ Wertschätzung hat jedoch nichts mit Followerrankingswettbewerben und Tausenderkontaktpreisen zu tun.
Ich bin eines von rund 750 Millionen Facebook-Mitgliedern. Ich habe es den ganzen Tag laufen, weil ich es sehr mag. Erst gestern freute ich mich über einen per Facebook wiedergefundenen alten Freund. Es liegt mir am Herzen. Schon deshalb werde ich mein Profil nicht löschen. (Und natürlich kann man sich schwer vorstellen, dass die Co-Autorin des O’Reilly Social Media Marketings-Buchs kein Facebook-Profil hat.)
Aber ich wünsche mehr Relevanz. Mehr Kreativität. Und mehr Mut – auch dazu, sich den Best Practices zu widersetzen. Denn: Bei Facebook ging es ursprünglich um Freunde. Und im Umgang mit denen geht es um Authentizität, Individualität und Dialog – aber nicht um Best Practices.
Ich möchte daher allen Community Managern in den Unternehmen zurufen: „Nieder mit den Best Practices! Seid originell! Zeigt Respekt vor Euren Lesern! Und probiert mal wieder was Neues!“
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