Zum Erscheinen ihres Buches „PR im Social Web“ sprach ich mit Marie-Christine Schindler und Tapio Liller über „klassische PR“ und „PR im Social Web“, alte Aufgaben in neuem Gewand, Ängste, neue Herausforderungen und Chancen. Lesen Sie hier ihre spannenden Antworten:
Wieso war es an der Zeit für ein Handbuch für Kommunikationsprofis in Agenturen und Unternehmen, die sich mit PR auseinandersetzen? Und wieso helfen diesen Personen die Bücher über „Social Media Marketing“ nur bedingt weiter?
Marie-Christine Schindler: Die meisten Bücher, die wir bis zum Start unseres Buches gelesen hatten, behandelten in erster Linie das Marketing, also die marktgerichtete Kommunikation eines Unternehmens. So bleiben in vielen Büchern Bereiche wie die interne Kommunikation , Medienarbeit und die Kommunikation im Beschaffungsmarkt außen vor. Zudem beschäftigen sich viele Bücher mit der Technologie bzw. den einzelnen Plattformen – wir stellen die Menschen und ihr Verhalten in den Mittelpunkt.
Tapio Liller: PR-Profis sind es gewohnt, in komplexen Zusammenhängen zu denken und Prozesse zu gestalten. Uns war es deshalb wichtig, im Buch auch die Auswirkungen des Social Web auf Unternehmenskultur und Kommunikationsprozesse innerhalb und außerhalb von Organisation zu berücksichtigen. Wir legen den Schwerpunkt auf das „warum?“ der Veränderungen und das „wie?“ bei der Gestaltung neuer Prozesse. Das ist etwas ganz anderes als eine Anleitung zum Bloggen oder zum Aufbau einer Facebook-Seite.
Was ist das Besondere an PR im Social Web?
Marie-Christine Schindler: PR wird ja auch als Öffentlichkeitsarbeit bezeichnet und Öffentlichkeit stellten bisher die klassischen Massenmedien her; Journalisten hatten die Rolle von Gatekeepern. Heute können Organisationen und Unternehmen auch an den Gatekeepern vorbei Öffentlichkeit herstellen und ihre Anspruchsgruppen erreichen. Sie können selbst Themen setzen und den Dialog anregen, müssen aber auch damit rechnen, dass ihre Stakeholder dies auch aus eigenem Antrieb tun. Wir sprechen in unserem Buch darüber, wie sich der von Thomas Pleil geprägte vormediale Raum verändert hat und was dies für die PR bedeutet.
Habt ihr ein Beispiel für äußerst gelungene PR im Social Web, das euch persönlich beeindruckt hat, und warum hat es euch beeindruckt?
Tapio Liller: Wir haben für unser Buch mit vielen Praktikern aus Unternehmen gesprochen, da sind vom Mittelständler mit einem PR-Mitarbeiter bis zum Großkonzern mit eigenen Social-Media-Teams alle Größenordnungen dabei. Besonders beeindruckend ist oft die Kreativität und Ausdauer der „Kleinen“, die mit einfachen Mitteln und viel persönlichem Einsatz die Menschen erreichen.
Marie-Christine Schindler: Dazu gehört sicherlich die Saftkelterei Walther, wo sich die Chefin selbst im Social Web zu Wort meldet und die Rolle des Patrons auch online übernimmt. Am anderen Ende der Skala haben wir zum Beispiel den Auftritt des Anlagenbauers Krones AG entdeckt, der sehr vielfältig crossmedial arbeitet und sehr geschickt B2B-Kommunikation mit Employer-Branding verknüpft.
Was würdet ihr Unternehmen raten, die sich ins soziale Netzwerkgetümmel stürzen möchten?
Tapio Liller: Nicht einfach mit einer Facebook-Seite loslegen, weil gerade in der Zeitung steht, dass das Social Network wichtig ist oder der Wettbewerber auch schon eine Seite hat. Viel zu oft wird noch aktionistisch gehandelt, statt zu planen.
Marie-Christine Schindler: Richtig, Unternehmen sollten der Versuchung widerstehen, das Pferd am Schwanz aufzuzäumen. Sie sollten konzeptionell vorgehen und sich die sieben W-Fragen stellen, denn Kommunikation im Social Web ist, wie die klassische PR auch, eine bewusste, geplante und gezielte Aufbauarbeit. Wer mit der Kommunikation im Social Web startet, sollte sich im Klaren sein, welche – möglichst messbaren – Ziele er verfolgt. In unserem Buch zeigen wir eine breite Palette von Möglichkeiten und Beispielen auf.Nach der Lektüre sollte der Leser in der Lage sein, auch für seine Organisation abzuschätzen, wo Möglichkeiten und Grenzen der Kommunikation im Social Web liegen.
Viele Unternehmen, die nicht so bewandert sind mit den sozialen Medien, haben Angst: Angst vor Kontrollverlust, Angst vor Kommunikationskrisen, Angst vor Kundenmeinungen. Warum sollten sie diese Ängste beiseite legen?
Marie-Christine Schindler: Weil sie letztlich doch sehr vieles in der Hand haben. Wenn sie es schaffen, mit einem systematischen Monitoring in Echtzeit zuzuhören, merken sie, wo bei ihren Anspruchsgruppen der Schuh drückt. Sie können selber Themen setzen, müssen sich dann aber darauf einstellen, dass sich eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Das bedeutet aber nicht, dass sie keine Möglichkeit mehr haben, ins Gespräch einzugreifen. Sie können ihre Sichtweise ja weiterhin einbringen, indem sie daran teilnehmen.
Tapio Liller: Ganz ehrlich, wenn ein Unternehmen ein gutes Produkt anbietet, wird es erstaunt sein, wie wenig Kritik im Netz geäußert wird. Trotzdem sollte man auf Kritik vorbereitet sein und Rückmeldungen als Chance begreifen, Dinge besser zu machen. Etwas Selbstbewusstsein schadet nicht, solange sie nicht in Arroganz umschlägt.
Wie denkt ihr, wird sich die PR verändern – wird es in 5 Jahren noch die „klassische PR“ geben oder wird die PR in den sozialen Netzen alles verdrängen?
Marie-Christine Schindler: Die klassische PR stirbt nicht, aber sie wird durch die Verzahnung mit der Kommunikation im Social Web dynamischer werden. Medienarbeit wird bis auf weiteres wichtig bleiben. Der Offline-Austausch am Tag der offenen Tür, auf der Messe oder einem Fachkongress wird weiterhin geschätzt, weil es einem Urbedürfnis der Menschen entspricht, sich Face-to-Face auszutauschen. Veranstaltungen werden aber dank Social Media ihre Reichweite vergrößern und durch Impulse von außen lebendiger werden.
Tapio Liller: Die PR selbst wird weiter die Aufgabe haben, Themen zu setzen, komplexe Zusammenhänge zu erklären und Beziehungen zu pflegen. Das Instrumentarium dazu wird aber vielfältiger, das gilt es zu beherrschen. Im Kern ändert sich mehr der PR-Beruf als die Aufgabe der PR.
Sollten auch PRler, die noch nicht direkt mit den sozialen Netzwerken in Kontakt gekommen sind, sich damit beschäftigen? Oder was ratet ihr ihnen?
Marie-Christine Schindler: Ja, absolut, und besser gestern wie heute. Sie müssen die wichtigsten sozialen Netzwerke selbst erfahren haben, denn sie müssen ja in der Lage sein, für ihre Organisation oder für ihren Kunden den Entscheid für oder gegen ein Netzwerk zu fällen. Und das können sie nur tun, wenn sie diese kennen. Zudem müssen sie die Mechanismen der Kommunikation im Social Web erfassen. Dies gilt übrigens auch dann, wenn PR-Schaffende eine reine Führungsfunktion inne haben und in ihrem Team ein Mitarbeiter gezielt für PR im Social Web abgestellt ist.
Das Buch ist auf eine kollaborative Art und Weise entstanden. Wieso ist genau das sozusagen symptomatisch für die sozialen Netzwerke?
Marie-Christine Schindler: Im Social Web können sich viele Menschen ohne technische Hürden auf ihre Weise einbringen. Dies tun sie normalerweise da, wo sie sich stark fühlen und Fachkompetenz mitbringen. Wer bereit ist, andere Meinungen zu respektieren und darauf zu vertrauen, dass jeder in seinem Gebiet ein kleiner Spezialist ist, wird es schaffen, aus vielen einzelnen Fragmenten ein wertvolles Ganzes zusammenzubringen.
Tapio Liller: Unser Buch ist nicht nur aus dem Wissen von uns beiden entstanden, sondern aus einem fruchtbaren Diskurs mit unserer Lektorin Susanne Gerbert und sehr vielen Anregungen aus unserem beruflichen und Online-Netzwerk. Ohne die vielen Zurufe und Tipps aus unserer „Buch-Community“ (zum Beispiel über unsere „PR im Social Web“-Facebook-Seite oder via Twitter und dem Hastag #primsocialweb) wäre „PR im Social Web“ nicht so nah dran an der Praxis. Das Engagement und die Begeisterung, die uns schon in der Entstehungsphase entgegenschlugen waren für uns sehr wertvoll. Dafür ein großes Danke an alle da draußen!
Über die Autoren:
Marie-Christine Schindler aus Zürich ist eidgenössisch diplomierte PR-Beraterin BR/SPRV. Sie verfügt über mehrjährige Agenturerfahrung bei Trimedia Communications, wo sie zuletzt Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung war. Im Schweizerischen Public Relations Verband SPRV ist sie Expertin im Fach Schreiben und Redigieren bei den eidgenössischen Berufsprüfungen für PR-Fachleute. http://www.mcschindler.com
Tapio Liller ist Gründer und Inhaber der Kommunikationsberatung Oseon Conversations in Frankfurt am Main. Der Kommunikationswissenschaftler (Uni Essen) gründete Ende 2008 sein eigenes Beratungsunternehmen. Sein Blog opensourcepr.de ist eines der meistgelesenen PR-Blogs im deutschsprachigen Raum und hat schon verschiedentlich Fachdebatten angestoßen. Als Experte für Social Media und PR ist Tapio Liller regelmäßig Referent bei Fachkonferenzen auch außerhalb der PR-Branche. http://www.oseon.com